Die Krise als Katalysator

Ein Standpunkt von Prof. Klaus Josef Lutz, Vorstandsvorsitzender der BayWa AG

Prof. Klaus Josef Lutz, Vorstandsvorsitzender der BayWa AG

Fraunhofer-Magazin 3.2022

Prof. Klaus Josef Lutz, Vorstandsvorsitzender der BayWa AG
© Foto: Thomas Einberger/argum/imago images
Prof. Klaus Josef Lutz, 64, leitet seit 14 Jahren die Geschicke des weltweit tätigen Agrarhandelskonzerns BayWa AG.

Pandemie, Krieg und Hitzesommer befeuern ein Umdenken in der Lebensmittelproduktion. Smart Farming, Agri-PV und alternative Proteine könnten den großen Durchbruch erleben.

Die Krise wirkt als Katalysator: Ohne die Pandemie hätte die Digitalisierung nicht ihren großen Durchbruch erlebt. Homeoffice oder der Videotermin beim Arzt wären weiter Zukunftsmusik. Nun stellen der Krieg in der Ukraine und die durch den Hitzesommer –endlich! – wieder ins Bewusstsein gerückte Klimakrise unseren Way of Life auf die Probe. Im gesättigten Deutschland haben wir Ernährungsengpässe in anderen Regionen lange mit einem Schulterzucken abgetan. Jetzt sind auch hierzulande Grundnahrungsmittel teurer geworden und manches Supermarktregalbleibt temporär leer. Die Nachfrage nach Betriebsstoffen wie Dünger ist hoch, die Lieferketten sind brüchig. Es greift alles ineinander: Fehlt Energie, können keine Gebinde wie etwa Glasflaschen produziert werden.

Es ist Zeit für ein Umdenken in der Landwirtschaft, in der Lebensmittelproduktion und -distribution. Die gute Nachricht: Die nötige Technik ist vorhanden. Wir müssen nur anfangen, sie in größerem Maßstab zu nutzen. Und uns nicht mit Lamenti aufhalten. Standpunkt-Diskussionen wie »Öko versus Konventionell« helfen nicht weiter. Stattdessen können wir uns sowohl aus ökologischer wie geopolitischer Sicht darauf einigen: Am besten ist, was mit möglichst wenig Ressourcenaufwand in der Region kultiviert und auch direkt dort konsumiert wird. Dies gilt universell – egal, ob in Oberbayern, Australien oder Afrika.

Drei Trends, die aus meiner Sicht unsere Versorgung mit Nahrungsmitteln revolutionieren werden:

Smart Farming

Mittels Teilflächenmanagement können Landwirte genauer ermitteln und steuern, was sie wann wo in welcher Menge säen, bewässern und düngen. Auch in der Bekämpfung von Unkraut oder Schädlingen hilft GPS-gesteuerte Hightech: Selbstfahrende Hack-Roboter rücken aus und gleichen den Mangel an Arbeitskräften aus. Besser noch: Der Einsatz von Pflanzenschutzmitteln kann signifikant reduziert werden. Satellitenbilderdokumentieren den Erntefortschritt – bis hin zu volkswirtschaftlich relevanten Analysenwie den vom BayWa-Tochterunternehmen VISTA in diesem Sommer gelieferten Ertragsprognosen für die Ukraine.

Ländern mit schwierigen klimatischen Grundvoraussetzungen eröffnet Smart Farming die Möglichkeit, unabhängiger von Importen zu werden. Hier wie dort lohnt es zu hinterfragen, ob die bisherigen Anbaumethoden und -gebiete, die Fruchtfolgen und Lagertechniken zukunftsfähig sind. Ein Ergebnis der geowissenschaftlichen Analysen könnte sein, dass wir künftig mehr Soja oder Sorghum auf deutschen Feldern heranreifen sehen.

Agri-PV

Mit Agri-Photovoltaik (Agri-PV) schlagen wir mehrere Fliegen mit einer Klappe: Die Nutzung von Ackerflächen für die Stromproduktion senkt den Flächenverbrauch und steigert gleichzeitig die Produktivität im Pflanzenanbau. Ein Beispiel aus Gelsdorf in Rheinland-Pfalz, wo BayWa r.e. und das Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme ISE ein Forschungsprojekt initiiert haben: Mittels über den Baumkronen platzierter PV-Module werden Äpfel gezielt beschattet und vor Starkregen, Hagel oder Frost geschützt. Der erzeugte Strom kann direkt für elektrische, autonom fahrende Ackerhelfer oder die Bewässerungstechnik genutzt werden.

Alternative Proteine

Alternative pflanzenbasierte oder auf Zellbasis produzierte Proteine werden als Ergänzung zu den klassischen Fleisch-, Fisch- und Milchprodukten zunehmend attraktiv. Sie können oft lokal und ganz-jährig produziert werden. Ein schönes Beispiel ist das Berliner Start-up VEgg, das ein veganes Ei samt Schale produziert. Noch weiter geht ein junger Mann aus Österreich, den ich Anfang 2022 auf dem von uns veranstalteten »Future Food«-Kongresskennenlernen durfte: Sein Unternehmen Kern Tec erzeugt Backzutaten und Öle aus Aprikosen- und Kirschkernen, die sonst im Müll landen. Reste-Essen im wahrsten Sinne des Wortes. Oder investorentauglicher ausgedrückt: Upcycling und Zero Waste.

Was soll jetzt noch schiefgehen bei der Revolution der Lebensmittelproduktion und -versorgung? Zwei Faktoren könnten das Momentum abschwächen: Zum einen unsere Bequemlichkeit und mangelnde Weitsicht. Zum anderen fürchte ich die Regulierungswut der deutschen und europäischen Behörden. Da kann ein Entrepreneur noch so viele Unterstützer für sein Projekt gewinnen – steht ihm nur ein einzelner Beamter im Weg, ist schnell Schlussmit Innovation. Nur gut, wenn man – wie die VEgg-Mitgründerin Verónica García-Arteaga – einen Intermediär wie die Fraunhofer-Gesellschaft an seiner Seite weiß.