Vom Material zum System: Werkstoffe als Innovationstreiber

Grüner Wasserstoff wird als Energieträger und chemischer Rohstoff einen entscheidenden Beitrag dazu leisten, die Klimaziele zu erreichen. Dies kann jedoch nur gelingen, wenn die Systeme zu Erzeugung, Speicherung, Transport und Nutzung von H2 optimiert, also energieeffizienter, robuster, sicherer und wirtschaftlicher werden. Fraunhofer leistet mit seinen Kompetenzen einen entscheidenden Beitrag dazu.

 

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© Fraunhofer ISC
Werthaltige Produkte, gewonnen über Hochtemperatur-Elektrolyse und Fischer-Tropsch-Synthese.

Robuste Brennstoffzellen- und Elektrolyse-Stacks

Zur Erzeugung von grünem Wasserstoff wird Wasser mithilfe von elektrischem Strom in H2 und O2 zerlegt. Jede Art der Elektrolyse bringt spezifische Vorteile mit sich, sodass die Wahl der geeigneten Technologie je nach Einsatzszenario unterschiedlich ausfallen kann. Fraunhofer-Forschende verfügen bei allen Elektrolysearten über große Kompetenz und können viel dazu beitragen, die Elektrolyse weiter voranzubringen. Während die wässrige alkalische Elektrolyse (AEL) und zu weiten Teilen auch die saure Membran-Elektrolyse – PEM-Elektrolyse genannt – technisch recht ausgereift sind, sind bei der alkalischen Membran-Elektrolyse und der Hochtemperatur- Elektrolyse noch technologische Fragen zu klären.

 

Die robusten Elektrolyseure für AEL kamen bisher in Kraftwerken und Chemieanlagen mit stationärer Belastung zum Einsatz, in denen die Last stets gleichblieb. Nun steht jedoch ein Paradigmenwechsel an: Durch die regenerativen Energien entstehen starke Lastschwankungen, die neue Konzepte erfordern. Fragen rund um diese Dynamik untersucht das Fraunhofer IFAM im Technikumsmaßstab: in einer Anlage mit einer Leistung von 30 Kilowatt. Partnern bietet das Institut Dienstleistungen für die Analyse des Realverhaltens von AEL-Elektrolyseuren an. Darüber hinaus optimieren das Fraunhofer IFAM und Fraunhofer IMWS die Langzeitstabilität der Elektroden. Für die alkalischen Elektrolyseure der nächsten Generation, die bei erhöhten Temperaturen und hohen Drücken arbeiten, forscht das Fraunhofer IKTS in den Projekten AWEC++ und HHoch 2 mit Förderung der TAB und des BMWK an neuen Materialien und Stacksystemen. Damit wird eine Steigerung der Leistungsdichte sowie ein stabiler Betrieb möglich.

Jünger als die AEL ist die PEM-Elektrolyse. Während erstere einen Technologiereifegrad von acht bis neun hat, liegt jener der PEM-Elektrolyse bei sieben bis acht. Auch sie bietet diverse Vorteile: So können die verwendeten Stromdichten sehr hoch sein, die Bauweise sehr kompakt – und das Verfahren ist dynamisch betreibbar. Aufgrund des sauren Mediums müssen die Materialien jedoch sehr robust sein. Forschende des Fraunhofer ISE entwickeln neue Membranmaterialien, verlängern die Haltbarkeit der Zellen durch eine Anti-Korrosions-Beschichtung, führen Lebensdauertests durch und wollen das Verfahren in größerem Maßstab überführen. All diese Maßnahmen können dazu beitragen, die Kosten zu senken. Sowohl das Fraunhofer IKTS, als auch das IFAM und IST beschäftigen sich zudem im BMWK Projekt H2GO mit dem Recycling von PEM Stacks und deren elektrochemischer Charakterisierung.

Die Hochtemperatur-Elektrolyse findet bei über 800 °C statt. Wo Abwärme zur Verfügung steht, kann sie ihre Stärken entfalten: Um ihre Reaktionen zu katalysieren, sind keine Edelmetalle nötig; überdies lassen sich die gleichen Systeme sowohl im Elektrolyse- als auch im Brennstoffzellenmodus nutzen. Schließlich ermöglicht sie die Co-Elektrolyse, bei der Wasser in H2 und O2 sowie CO2 in Sauerstoff und Kohlenmonoxid (CO) aufgespalten werden. Das CO bildet zusammen mit H2 das »Synthesegas«, Grundlage zur Herstellung zahlreicher Chemieprodukte. Das Fraunhofer IKTS widmet sich der Langzeitstabilität der Elektrolyseure ebenso wie dem Wirkungsgrad und den Kosten.

Die IKTS-Teams optimieren Materialien, fertigen Zellen und bauen diese zu Stacks zusammen. In Materialtests untersuchen sie im Rahmen der BMBF-Projekte ElKoHEL und SOC Degradation 2.0 die Degradationsmechanismen in Stack-Komponenten, u. a. in Abhängigkeit unterschiedlicher Kontaminanten und Konzentrationen. So lassen sich zuverlässige Energiesysteme realisieren, beispielsweise zur Kopplung von Hochtemperatur-Elektrolyse und Fischer-Tropsch- Synthese. In der weltweit einzigartigen Recycling-Anlage in Thallwitz können damit biologische Abfälle wieder in nutzbare Stoffe wie synthetische Kraftstoffe und Biowachse gewandelt werden (siehe Kapitel »Klimaneutrale industrielle Prozesse«, Seite 7). Für die Kraft-Wärme-(Kälte-)Kopplung mit Wasserstoff – etwa für die netzferne Versorgung – arbeitete das Fraunhofer IKTS an planaren Zellen und Stacks und entwickelte die Technologie mit der Dresdner Firma Sunfire bis zur Marktreife.

Ein reibungsloser Betrieb der Brennstoff- und Elektrolysezellen erfordert, dass die Gasatmosphären dicht voneinander getrennt werden. Hierzu werden Lote benötigt, die bis ca. 850 °C stabil eingesetzt werden können. Das Fraunhofer ISC hat hier im Rahmen diverser Industriepartnerschaften kristallisierende Glaslote entwickelt, die allen thermischen, chemischen und mechanischen Anforderungen genügen. Diese können sogar in einem vollautomatisierten Herstellungsprozess verwendet werden. Daran, dass der Stack auch im Betrieb dicht bleibt, arbeitet das Fraunhofer IWU mit der TU Chemnitz und Industriepartnern: Smarte Dichtungen erkennen, wenn sich die Vorspannung des Stacks während des Betriebs ändert. Mithilfe von Formgedächtnislegierungen wird dann die optimale Vorspannkraft wiederhergestellt.

Systeme zum Reforming

Derzeit entsteht Wasserstoff meist nicht aus Wasserelektrolyse, sondern durch Reformierung, basierend auf organischen Verbindungen – im einfachsten Fall Methan oder Methanol. Auch diese Art der H2- bzw. Synthesegasherstellung kann in einer nachhaltigen Industrie eine Funktion erfüllen, wenn etwa die organischen Verbindungen aus Biomasse stammen und wenn das entstehende CO2 dem globalen Kreislauf entzogen wird. Mehrere Fraunhofer-Institute arbeiten an der Optimierung der zugrunde liegenden Reformersysteme: Das Fraunhofer IMM entwickelt Komplettlösungen für Brennstoffaufbereitung und -synthese vom Labor- über den Pilotmaßstab bis zur Serienreife. Das Fraunhofer IKTS widmet sich dem in einem Brennstoffzellensystem erforderlichen Nachbrenner, vielmehr seinem Herzstück, der Schaumkeramik. Für eine lange Lebensdauer muss diese äußerst hochtemperatur- und thermoschockbeständig sein. Offenzellige Schaumkeramiken aus Siliciumcarbid sind hierfür besonders geeignet. Die Forscherinnen und Forscher legen diese zellulären Keramiken gezielt auf die Brenner- oder Reformerart auf und entwickeln sie weiter. Spezielle Schaumkeramiken des IKTS verfügen über eine besonders hohe Festigkeit im Temperaturbereich bis 1300 °C.

Schlüsselelement Katalysatoren

Leistungsfähige und preiswerte Katalysatoren sind für effiziente Elektrolyseure oder Brennstoffzellen unerlässlich. Hier haben mehrere Fraunhofer-Institute große Expertise aufgebaut mit dem Ziel, sowohl den Einsatz von Edelmetallen zu reduzieren als auch die Effizienz zu steigern. Im Elektrolyseur gelten dabei für die Wasserstoff-Elektrode völlig andere Anforderungen als für die Sauerstoff-Elektrode. So haben etwa Forscherinnen und Forscher des Fraunhofer ICT im BMBF-Projekt HyCOn geträgerte Katalysatoren auf Iridiumoxid-Basis für die Produktion von Sauerstoff entwickelt. Sie untersuchen auch die Steigerung der Aktivität durch Mischoxidbildung oder die Fehlstellenbildung durch Dotierung mit Halogeniden. Auf Grundlage solcher Vorarbeiten lassen sich schließlich bifunktionelle Sauerstoffkatalysatoren für unitäre reversible PEM-Brennstoffzellen realisieren. Auch für unterschiedliche Typen von elektrochemischen Zellen im Nieder- und Mitteltemperaturbereich (bis etwa 200 °C) entwickelt das Fraunhofer ICT Elektrokatalysatoren. So arbeiten die Forscherinnen und Forscher etwa an der Verbesserung von Elektroden für die Hochtemperatur-PEM-Brennstoffzelle. Im Auftrag des Bundesministeriums der Verteidigung wird zudem für diesen Brennstoffzelltyp an Materialien und Systemen geforscht, die mit logistischen Treibstoffen arbeiten können.

Im Bereich des Schwerlastverkehrs können PEM-Brennstoffzellen eine wichtige Rolle spielen, denn sie erzielen eine hohe Leistungsdichte und sehr hohe Dynamiken. Zudem bieten sie auf Grund der Energiedichte des Wasserstoffs für die Anwendung Vorteile gegenüber dem rein batterieelektrischen Antrieb. Hier dienen die Beschichtungen einer Membran als Elektroden. Man spricht dabei auch von einer »Membran-Elektrodeneinheit«, kurz MEA. Im Projekt HyFab arbeitet das Fraunhofer ISE mit Förderung des Landes Baden- Württemberg daran, die funktionalen Zusammenhänge in der Katalysatorschicht aufzuklären sowie Prozesstechnologien für die Massenproduktion von MEAs zu optimieren. Die Kolleginnen und Kollegen vom Fraunhofer UMSICHT entwickeln ebenfalls neue Katalysatoren für die Wasser- und CO2-Elektrolyse.

Das Fraunhofer ISC hat sich zum einen auf die Hochskalierung von Katalysatormaterialien und zum anderen auf Katalysatoren für die Nutzung von Wasserstoff, z.B. für die Herstellung solarer Chemikalien, spezialisiert. Damit solche katalytischen Reaktionen großtechnisch möglich werden und nicht nur im Labormaßstab ausreichende Performance und Ausbeute zeigen, müssen vielversprechende Katalysatormaterialien wie z.B. die Photokatalysatoren Titandioxid und graphitisches Carbonnitrid im großen Maßstab zugänglich sein. Im EU-Projekt SPOTLIGHT konnten Katalysatoren, die von Projektpartnern entwickelt wurden1, am Fraunhofer ISC aufskaliert werden. Dabei wurde die Synthese verschiedener Katalysatormaterialien, die beispielsweise zur Herstellung von Methan und Kohlenstoffmonoxid aus grünem Wasserstoff und Kohlenstoffdioxid eingesetzt werden, aus dem 100 mg Maßstab in den 100 g Maßstab überführt. Die Performance dieser Katalysatoren zeigt vergleichbare oder bessere Ergebnisse in den Umwandlungsprozessen als die im kleinen Maßstab hergestellten Systeme.

Speichermaterialien

Unterschiedliche Anwendungen von Wasserstoff erfordern auch unterschiedliche Konzepte für Speicherung und Transport des begehrten Gases. Für Transporte unter 100 Kilometern entwickelt das Fraunhofer IFF einen portablen, modularen H2-Speicher, der weniger als 750 Kilogramm wiegt und sich auf »grüne« Kleintransporter laden lässt. Speichern lässt sich Wasserstoff auch in LOHC-Speichern, kurz für »Liquid Organic Hydrogen Carrier«. Dabei wird H2 chemisch an ein Trägeröl gebunden – aufwendige Druckspeicher oder Kühlanlagen sind überflüssig. Europas ersten LOHC-Speicher neuester Generation haben Forscher am Fraunhofer IAO aufgebaut: Er hat eine Speicherkapazität von 2000 Kilowattstunden. Das Fraunhofer IFAM in Dresden entwickelt als Alternative eine einfach handhabbare »PowerPaste«, in der sich Wasserstoff bei Raumtemperatur und Umgebungsdruck chemisch speichern lässt. Wird er benötigt, lässt er sich über die Zugabe von Wasser bedarfsgerecht freisetzen.

100 Liter-Synthesereaktor für die Hochskalierung von Katalysatormaterialien in den industriellen Technikumsmaßstab am Fraunhofer ISC, gekoppelt mit verschiedenen in-line-Analysetechnologien
© Fraunhofer ISC
100 Liter-Synthesereaktor für die Hochskalierung von Katalysatormaterialien in den industriellen Technikumsmaßstab am Fraunhofer ISC, gekoppelt mit verschiedenen in-line-Analysetechnologien.
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© Fraunhofer-Zentrum HTL
ThermoOptische Messanlage (TOM) zur in-situ-Untersuchung des Einflusses von Wasserstoff und der Wasserstoffverbrennungsatmosphäre auf das Brenngut und die Ofenkomponenten.

Einfluss von Wasserstoff und dessen Verbrennungsprodukt Wasser auf Thermoprozesse und Brenngut

Die Nutzung von Wasserstoff zur Reduzierung des CO2- Footprints von Thermoprozessen ist ein wichtiger Pfad zur Erreichung der Klimaziele. Dies gilt insbesondere bei Prozessen, bei denen eine Elektrifizierung nicht möglich ist. Die Verbrennung von Wasserstoff führt je nach Einstellung der Brenner und der Verbrennungsbedingungen zu signifikant höheren Verbrennungstemperaturen und Gasvolumenströmen sowie erhöhten Wasseranteilen in der Gasatmosphäre. Dieser erhöhte Wasseranteil kann sich sowohl auf das Produkt im Ofen als auch auf die Ofenkomponenten auswirken. Hier sind neben den Brennern vor allem die Feuerfestauskleidung und Brennhilfsmittel betroffen. Das Fraunhofer ISC hat spezielle Öfen, in denen der Einfluss erhöhter Wasserdampfanteile (bis 100%) auf das Brenngut und Ofenkomponenten in-situ untersucht werden kann. Zusätzlich liegt ein breites Spektrum an Analysemethoden, u.a. im Zentrum für Angewandte Analytik ZAA, zur anschließenden Untersuchung der innerhalb der Materialien abgelaufenen Reaktionen am Fraunhofer ISC vor. Basierend auf den Ergebnissen können unter Verwendung von selbstentwickelten Simulations- Tools angepasste Ofenprogramme, Ofenmaterialien und Beschichtungen vorgeschlagen und entwickelt werden. Neben dem Einfluss des Wasseranteils kann auch der Einfluss des Wasserstoffs oder anderer Gase bis zu 1800 °C untersucht werden.

Barriereschichten

Für die Verkapselung von empfindlichen Bauteilen, die Separation von Gasströmen oder den Transport von Gasen müssen die beteiligten Materialien gasdicht sein. Für solche Anwendungen werden häufig Kunststoffbauteile oder -folien eingesetzt, da sie flexibel, kostengünstig und leicht in verschiedenen Geometrien hergestellt werden können. Allerdings weisen Kunststoffe eine sehr begrenzte Migrationsbarriere gegenüber unpolaren Gasen (z. B. Sauerstoff oder Stickstoff) auf. Aus diesem Grund müssen sie modifiziert werden. Eine besonders materialsparende und damit nachhaltige Möglichkeit ist der Einsatz von Funktionsschichten, die diese Gasbarriere übernehmen. Solche Schichten sind zentraler Bestandteil vieler Verpackungsanwendungen und ein bedeutsamer Forschungsschwerpunkt z. B. im Geschäftsbereich Polymere Oberflächen Fraunhofer POLO®

 

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© AdobeStockcom/ Corona Borealis
Einsatz von Barriereschichten in industriellen Produktionsanlagen.

Neben Aufdampf-, Sputter- und Plasmaschichten, eignen sich vor allem funktionale hybridpolymere Schichtsysteme (z. B. ORMOCER®-Materialien des Fraunhofer ISC), um aufgrund ihrer anorganischen und organischen Vernetzung innerhalb ein und derselben Matrix eine wirksame Barriere gegenüber Sauerstoff aufzubauen. Durch die hohe Netzwerkdichte und eine geeignete Polarität können Kunststofffolien durch ORMOCER®-Funktionsschichten von Migrationswerten über 1300 auf unter 15 cm3/m2dbar reduziert werden. Da die Schichten sehr flexibel und nur wenige Mikrometer dick sind, können auch sehr dünne Folien damit ausgerüstet werden. Die genannten Beschichtungsmaterialien werden durch einfache Synthese (z. B. in dem auf Seite 45 gezeigtem Synthesereaktor) hergestellt und können mit gängigen Methoden (z. B. Sprühen) auf 2D- und auf 3D-Oberflächen appliziert werden. Eine weitere Verbesserung des Eigenschaftsprofils hinsichtlich der Barrierewirkung kann durch die zusätzliche Additivierung mit Partikeln erreicht werden. Zukünftig werden nach ähnlichen Funktionsprinzipien und z. B. durch den Einsatz von (Schicht-)Silikaten Wasserstoffbarriereschichten entwickelt. Durch die Verwendung von kristallinen, anorganischen Nanofüllstoffen wird die Permeabilität der Polymermatrix durch die Verlängerung des Diffusionsweges der Permeate deutlich reduziert, sodass durch den Einsatz von Wasserstoffbarriereschichten vor allem die Verluste beim Transport von Wasserstoff reduziert und die Barriereeigenschaften unter hohem Druck signifikant verbessert werden können.