Was ist hier geplant?
Wir wollen auf europäischer Ebene die Herkunft von Lebensmitteln sichtbarer machen. Denn die Verbraucherinnen und Verbraucher wollen wissen, wo ihr Essen herkommt – und unsere Landwirte können dann mit der Herkunft punkten. Wenn im Supermarkt-Flyer mit der Herkunft geworben wird, statt mit dem Sonderpreis, dann haben alle etwas davon. Es ist ja auch eine Frage der Wertschätzung für unsere Landwirtinnen und Landwirte. Für mich ein wichtiger Aspekt: Die Herkunftskennzeichnung macht auch Transportwege sichtbar und ist so ein Baustein für klimagerechteren Konsum.
Im fünften Jahr registriert das Statistische Bundesamt einen Rückgang im Fleischkonsum, allein bei Schweinen 2021 um 2,9 Prozent auf 51,8 Millionen geschlachtete Tiere. Würden Sie einem jungen Menschen noch raten, den landwirtschaftlichen Betrieb der Eltern zu übernehmen?
Die Schlachtstatistik ist nur eine Seite der Medaille. In den vergangenen zehn Jahren hat sich die Zahl der schweinehaltenden Betriebe fast halbiert, während die Zahl der Schweine nahezu unverändert ist. Wir sind mitten in einem Konzentrationsprozess – hin zu weniger, aber dafür immer größeren Betrieben. Viele Familienbetriebe können dabei nicht Schritt halten. Von jedem Euro, den die Kunden an der Kasse für Fleisch ausgeben, bekommen die Bäuerinnen und Bauern gerade einmal 21 Cent ab. Das ist das Ergebnis einer zu einseitig ausgerichteten Agrarpolitik. Ich bin nicht bereit, dieses ausbeuterische System weiter hinzunehmen. Wir wollen den Betrieben eine ökologisch und ökonomisch nachhaltige Perspektive bieten, damit die Jungen gerne den Betrieb übernehmen und eine Existenzgrundlage haben. Damit ist auch ein größeres gesellschaftliches Ziel verbunden: Dort, wo es Landwirtinnen und Landwirte gibt, dort engagieren sie sich auch im und für den ländlichen Raum. Das stärkt den Zusammenhalt und die Dorfkultur.
Sie sind schon als Verkehrsminister gehandelt worden, als Außenminister mit dem Argument Ihrer Familienherkunft. Jetzt also Landwirtschaftsminister. Was verbindet Sie mit dem Bauernstand, wie das früher mit Stolz hieß?
Politisch habe ich dieses Feld tatsächlich noch nicht beackert. Die Eltern meines Vaters waren Landwirte. Dort, in der Türkei, bin ich früher immer in den Sommerferien gewesen. Und nun schließt sich irgendwie der Kreis. Es ist mir vor allem eine große Ehre, unserem Land als Bundeslandwirtschaftsminister dienen zu dürfen. Und natürlich habe ich mich gefreut, dass mir meine Partei diese große Aufgabe zutraut. Ich habe jetzt die Möglichkeit, mit meinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zu gestalten und wichtige Veränderungen anzustoßen, die letztlich 83 Millionen Menschen betreffen. Mir ist wichtig, dass wir die Aufgaben gemeinsam angehen und Schluss machen mit dem »die einen gegen die anderen«. Und zu Ihrer Frage: Ja, ich denke auch, dass die Landwirtinnen und Landwirte zu Recht auf ihre Arbeit stolz sein können und wir das auch sein sollten. Zudem erlebe ich da viel Innovationsgeist und auch eine gewisse Beharrlichkeit, die mir großen Respekt abringt. Mir ist wichtig, ehrlich zu sein und zu sagen, was wirklich ist und was wir ändern müssen. Viel zu lang wurde den Betrieben erzählt, dass es keine Probleme gebe – zum Beispiel beim Thema Nitrat-Belastungen durch Überdüngung, wo die EU seit Jahren Besserungen anmahnt und wir nun kurz vor knapp enorme Strafzahlungen abgewendet haben.
»Keine Ramschpreise« haben Sie für Lebensmittel gefordert – und sich natürlich Ärger eingehandelt. Heißt das Küchenrezept der Zukunft schlicht: weniger, aber teurer?
Das ist zu vereinfacht – mein Rezept hat mehr Zutaten. Erstens müssen die Landwirtinnen und Landwirte in Deutschland erfolgreich wirtschaften können. Zweitens: Was wir für Lebensmittel ausgeben, muss die ökologische Wahrheit berücksichtigen, also die Kosten für Mensch, Tier und Umwelt. Und drittens brauchen wir hochwertige, aber eben auch bezahlbare Lebensmittel. Ich will die Enden dieses Zieldreiecks zusammenbinden. Klar heißt das, die Tierzahl wieder mit der Fläche in Einklang zu bringen. Und wichtig ist auch, dass die Landwirtinnen und Landwirte nicht die Verlierer dieses Wandels werden. Wenn sie eine bessere Tierhaltung umsetzen, muss sich das für sie auch langfristig auszahlen. Hier sind wir alle gemeinsam in der Verantwortung – Politik, Ernährungswirtschaft, Handel und Verbraucher.
»Für meine Mutter war es Liebe, ihrem Kind Süßigkeiten zu geben«, haben Sie einmal erzählt. Was glaubt der gelernte Erzieher Cem Özdemir, wie lange es dauern wird, eine gesündere und umweltverträglichere Ernährung in den Alltag zu bringen?
Wenn Liebe und Kalorien Hand in Hand gehen, kommt das dicke Ende irgendwann – im wahrsten Sinne. Gut ist ja, dass das Thema gesunde und nachhaltige Ernährung inzwischen in fast aller Munde ist. Da hat sich definitiv etwas gewandelt. Es ist aber nicht immer leicht für die Verbraucherinnen und Verbraucher zu erkennen, welches Lebensmittel denn nun wirklich gesund ist und ob es ressourcenschonend produziert wurde. Deshalb haben wir als Koalition beschlossen, den Nutriscore weiter zu entwickeln. Also das farbliche Nährwertkennzeichen, das Sie auf vielen verpackten Lebensmitteln finden. Wir brauchen hier eine einheitliche europäische Lösung. Außerdem sind wir am Haltungs- und am Herkunftskennzeichen dran – das hatte ich ja eben schon beschrieben.
Damit wären wir auch auf der Nachfrageseite, die Sie eben angesprochen haben …
Richtig: Wir wollen dafür sorgen, dass das Angebot gesünder, tiergerechter und nachhaltiger produziert wird und wir wollen natürlich auch, dass es den Verbraucherinnen und Verbrauchern leichter fällt, dies zu erkennen. Mit diesen Kennzeichnungen können wir auf jeden Fall eine gute Unterstützung geben, sich für einen tier- und umweltgerechten Konsum zu entscheiden.
Was versprechen Sie sich von der Mehrfachnutzung landwirtschaftlicher Flächen durch überbaute Solarpanels?
Unser Ziel ist, den Ausbau der erneuerbaren Energien voranzutreiben. Agri-Photovoltaik sorgt für eine ganz klare Win-win-win-Situation: Unsere Landwirtinnen und Landwirte können einen Beitrag zur Versorgung mit erneuerbaren Energien leisten – und damit Geld verdienen. Gleichzeitig können sie ihre Fläche trotzdem weiter bewirtschaften. Und das ist dann noch ein wichtiger Beitrag im Kampf gegen die Klimakrise.
Noch bleiben Hindernisse. Die duale Flächennutzung ist bislang gesetzlich schlicht nicht vorgesehen, Landwirte haben keinen Anspruch auf EU-Agrarsubventionen, die Einspeisevergütung des Stroms ist ungeregelt. Wie wollen Sie Hemmnisse aus dem Weg räumen?
Wir wollen ja gerade die Synergien nutzen und es möglich machen, dass auf einer Fläche die Erzeugung von Lebensmitteln und von nachhaltiger Energie möglich ist. Deshalb sehen die neuen Regelungen zur Agrarförderung ab 2023 vor, solche Flächen bei den EU-Direktzahlungen zu berücksichtigen. Auch nach dem EEG sollen diese Anlagen gefördert werden.
Wie kann Forschung dazu beitragen, Ökonomie und Ökologie auch in der Landwirtschaft zu verbinden?
Unser Ministerium hat das viertgrößte Forschungsbudget aller Ressorts. Unsere nachgeordneten Behörden forschen an vielen Stellen dazu. Denn nur, wenn wir Ökonomie und Ökologie zusammenbringen, hat die Landwirtschaft in Deutschland eine gute Zukunft. Forschung und Innovation können dazu beitragen, scheinbare Zielkonflikte aufzulösen.
Haben Sie Beispiele?
Ich denke hier vor allem an die Digitalisierung in der Landwirtschaft. Hier gibt es schier endlose Möglichkeiten, die Landwirtschaft umwelt- und ressourcenschonender zu machen. Wir fördern zum Beispiel aktuell ConstellR – ein Start-up, das mit einer eigenen Satellitenflotte aus dem All die Bodengesundheit misst. Diese Fraunhofer-Ausgründung will eine hochpräzise und damit nachhaltigere Bewirtschaftung unserer Felder möglich machen. Es gibt Techniken, die den Pestizideinsatz erheblich reduzieren oder sogar überflüssig machen: Roboter, die Unkräuter mithilfe einer KI-gestützten Bilderkennung bekämpfen – und zwar rein mechanisch mit Hitze, Lasern oder Strom. Damit schützen wir auch den Artenreichtum. Davon gibt es noch viel mehr Beispiele: Die Landwirtschaft ist jedenfalls moderner, digitaler und technisierter, als viele denken.
»Als Jugendlicher«, haben Sie einmal gestanden, »habe ich die Träume meiner Eltern zerdeppert.« Worauf wären Ihre Eltern heute stolz?
Na ja, als Rockmusik hörender, grüner Vegetarier in zerrissenen Jeans in einer Erzieherausbildung habe ich zeitweise nicht gerade dem Idealbild eines Sohnes entsprochen. Aber meine Eltern waren immer stolz auf mich und haben mich unterstützt. Ich denke, sie wären jetzt besonders stolz darauf, dass ich nun als Bundesminister arbeiten darf. Der Weg war mit Sicherheit nicht vorgezeichnet.