Webspecial Fraunhofer-Magazin 2.2022
Zeitenwende« ist das Wort der Zeit. Ausgelöst ist sie vom russischen Präsidenten Wladimir Putin mit seinem Angriffskrieg gegen die Ukraine. In Deutschland umgesetzt ist sie vom Deutschen Bundestag, der ein 100-Milliarden-Euro-Sondervermögen freigibt und dafür mit großer Mehrheit das Grundgesetz ändert. Verändert hat sie den Blick vieler auf die Welt und die Fähigkeit des Landes, die Bundeswehr optimal aufzustellen und die Bevölkerung im Falle eines Falles optimal zu schützen. »Es gibt eine ganze Reihe positiver Signale, dass die Politik schnell handeln möchte, um die Landesverteidigung zu stärken«, stellt Prof. Jürgen Beyerer fest, Vorsitzender des Fraunhofer-Leistungsbereichs Verteidigung, Vorbeugung und Sicherheit, kurz: VVS, und zugleich Institutsleiter des Fraunhofer IOSB. Und Caroline Schweitzer, die Geschäftsführerin des Verbandes, verspricht: »Für die Verteidigungsfähigkeit unseres Landes können die Forschungsinstitute im VVS substanzielle Beiträge liefern.«
Der VVS ist ein Zusammenschluss von elf Fraunhofer-Instituten, die ihre Kompetenzen in den Forschungsbereichen bündeln, die für Sicherheit, Wehrtechnik oder Verteidigung relevant sind. Vertreter des VVS stellen dem Bundesministerium der Verteidigung, dessen nachgeordneten Behörden und der Bundeswehr regelmäßig ihre Expertise und ihr Know-how zur Verfügung.
Zivilschutz und Verteidigungsfähigkeit gehen dabei oftmals Hand in Hand. Denn mit dem breiten Spektrum an Technologien, an denen die Forschenden der Fraunhofer-Gesellschaft für Wirtschaft und Gesellschaft arbeiten, decken sie auch Themenbereiche ab, die für die Bundeswehr interessant sind. Beispiele hierfür wären etwa Technologien für die digitale Kommunikation von Einsatz- und Rettungskräften bei Katastrophen oder auch Technologien für die IT-Sicherheit von kritischen Infrastrukturen. Solche Technologien stärken die Resilienz ziviler Systeme und schützen die Menschen bei Krisen und Katastrophen. Sie helfen gleichzeitig der Bundeswehr, ihre Einsätze optimal zu koordinieren, gegebenenfalls im Verbund mit anderen europäischen Ländern.
»Es zahlt sich jetzt aus, dass Europa schon vor der Ukraine-Krise beim Thema Verteidigung näher zusammengerückt ist«, analysiert Schweitzer. »So wurde die Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP) der EU beschlossen und mit diversen Rahmenforschungsprogrammen flankiert. Fraunhofer gestaltet die Forschungsprogramme mit, außerdem arbeiten wir aktiv in europäischen Konsortien mit, in denen wir gemeinsam mit der Industrie, Forschungseinrichtungen und Universitäten neue Technologien entwickeln.«
Caroline Schweitzer hat an zahlreichen Expertenkommissionen der NATO teilgenommen. Seit 2015 ist sie Geschäftsführerin des VVS. Schweitzer weiß, was in Deutschland beim Thema Verteidigung derzeit diskutiert wird, und sie weiß auch, was die Fraunhofer-Gesellschaft hier beizutragen hat. Eine Aussage von Schweitzer ist auch von anderen Fraunhofer-Forschenden immer wieder zu hören: Zwar löse der Krieg in der Ukraine Betroffenheit aus, doch Anlass zu einer Kursänderung sei er nicht. Der Ton ist nüchtern. »Wir müssen keine neuen Forschungsfelder aufmachen, denn wir sind in allen Technologiebereichen gut aufgestellt«, bestätigt auch Prof. Beyerer.
Zahlreiche Beispiele aus den VVS-Instituten zeigen, wie Fraunhofer-Forschung zur Verteidigungsfähigkeit beiträgt.
Verteidigung ist Selbstschutz. Die Tarnung von Fahrzeugen und Uniformen ist eine jahrhundertealte Praxis. Diese noch weiter zu perfektionieren, ist aktuell das Ziel von Forschenden des Fraunhofer-Instituts für Optronik, Systemtechnik und Bildauswertung IOSB. Sie arbeiten an Tarnkleidung, die sich selbstständig an die Umgebung anpasst. Integrierte Sensoren messen die Umgebungshelligkeit und die vorherrschenden Farbtöne und geben diese Information an intelligent gesteuerte LEDs weiter, die in die Textilien eingearbeitet sind. Diese geben dann Licht in der entsprechenden Helligkeit und Farbgebung ab und lassen den Soldaten nahezu mit seiner Umgebung verschmelzen. Der Mensch, der in der Uniform steckt, muss dazu nichts tun, keine Knöpfe drücken, keine Sensoren aktivieren. Das ist schon Realität. Die Zukunft: Steht der Soldat über ein Infosystem mit der Luftaufklärung in Kontakt, dann kann die Tarnkleidung ihr Farbspektrum so verändern, dass sie von den optischen Sensoren einer überfliegenden Drohne nicht erkannt werden kann. »Mit der Tarnung manipulieren wir die Wahrnehmung«, erklärt Dr. Max Winkelmann, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Fraunhofer IOSB. Doch will das Team nicht bei der Optik stehen bleiben. Die Experten forschen an Textilien, die Wärmebildkameras täuschen können. »Wir erproben aktuell sehr viele neue Technologien«, verrät Winkelmann, »um unsere Soldaten besser zu schützen.«
Um optimierten Schutz für die Menschen im Einsatz geht es auch am Fraunhofer-Institut für Kurzzeitdynamik, Ernst-Mach-Institut, EMI. Hier beschießen Elmar Straßburger und Dr. Steffen Bauer Glas mit Metallprojektilen, prüfen die Schädigung und ziehen daraus Rückschlüsse, wie man Scheiben in Fahrzeugen noch sicherer vor Beschuss machen kann.
In der Regel wird hier Verbundsicherheitsglas eingesetzt. Die Dicke der einzelnen Schichten und die Kombination der verschiedenen Glassorten bestimmen letztendlich die Festigkeit. »Wir untersuchen nicht einfach, ob das Projektil die Scheibe durchbricht oder nicht. Oftmals hält die Scheibe einem ersten Schuss stand, auch dem zweiten. Beim dritten aber zersplittert sie komplett und kann die Menschen im Fahrzeug nicht mehr schützen.« Die Forscher beschäftigt deshalb die Frage, wie stabil eine Scheibe noch ist, wenn sie durch ein Projektil bereits geschädigt wurde – und der erste Schaden beginnt schon direkt zum Zeitpunkt des Projektilaufschlags, also bevor das Projektil anfängt, in das Glas einzudringen. Denn durch den Aufschlag werden Stoßwellen im Glas erzeugt, die mit hoher Geschwindigkeit dem Projektil vorauseilen und zur Entstehung von Rissen führen können. Solche Vorgänge erfassen die Fraunhofer EMI-Forschenden mit Hochgeschwindigkeitskameras – vom Aufprall bis zur Abbremsung des Projektils in nur 200 Mikrosekunden. Zudem nutzen die Experten Röntgen- Computertomografie und numerische Simulationsmodelle, »um die Festigkeit und Widerstandsfähigkeit von Verbundglas und Laminaten mit unterschiedlichen Materialkombinationen und Schichtdicken genauer prognostizieren zu können«, erklärt Bauer.
Auch am voraussichtlich größten und ambitioniertesten europäischen Verteidigungsprogramm der kommenden Jahrzehnte sind Fraunhofer-Forschende beteiligt. Das »Future Combat Air System«, kurz: FCAS, soll als Luftverteidigungssystem von 2040 an die bestehenden Plattformen wie den Eurofighter oder Rafale zunächst integrieren und zu einem späteren Zeitpunkt ablösen. An diesem Megaprojekt sind fast alle VVS-Institute beteiligt, wobei das Fraunhofer FKIE die Rolle des Point of Contact übernimmt. FCAS wird deutlich mehr sein als ein Kampfflugzeug. Bemannte Jets neuester Generation sind eingebunden in ein »System-of-Systems«. Unbemannte Komponenten, sogenannte »Remote Carrier«, schützen als Begleiter die Pilotinnen und Piloten in Kampfmissionen. Zentral ist eine »Air Combat Cloud«, die den Akteuren alle relevanten Informationen in Echtzeit zur Verfügung stellt.
Die neue Lösung wirft neue Fragen auf. Hightech und Digitalisierung führen immer mehr dazu, dass sich militärische Operationen beschleunigen und gleichzeitig datenintensiver und damit komplexer werden. Wenn aber KI-gestützte Systeme selbst Entscheidungen treffen, überschreitet die Technik eine rote Linie. »Die Anforderungen an Geschwindigkeit und Komplexität in den Gefechtssituationen der Zukunft sind so hoch, dass es ohne halbautomatische oder automatisch ablaufende technische Prozesse gar nicht mehr geht«, erläutert Prof. Wolfgang Koch, Chief Scientist am Fraunhofer-Institut für Kommunikation, Informationsverarbeitung und Ergonomie FKIE.
Dies erfordert eine neue Bewertung und Analyse des Themas Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI) in Waffensystemen. Der VVS hat hierzu das Positionspapier »Rise of Intelligent Systems in Military Weapon Systems« verfasst. Es legt den aktuellen Stand der Technik dar, untersucht Nutzen und Risiken und präsentiert ein Rahmenkonzept für erklärbare und kontrollierbare KI.
Doch damit nicht genug. Die Forschenden haben eine Arbeitsgruppe »FCAS-AG Technikverantwortung« gegründet, die ethische und rechtliche Leitlinien für Europas größtes Verteidigungsprojekt definieren und vorlegen will. An der Arbeitsgruppe beteiligen sich neben Wolfgang Koch Persönlichkeiten aus unterschiedlichen gesellschaftlichen Gruppen, beispielsweise die Schriftstellerin Nora Bossong, Anja Dahlmann von der Stiftung Wissenschaft und Politik, Ulrike Franke, Senior Policy Fellow beim European Council on Foreign Relations (ECFR) oder der Historiker Florian Keisinger. »Die AG soll kein harmloser Debattierclub sein und schon gar kein intellektuelles Feigenblatt für die Nutzung von KI in militärischen Operationen«, bestätigt Prof. Koch. »Vielmehr soll sie das Systemdesign, die Arbeitsweise und die Implementierung der Technologien in FCAS systematisch begleiten und mitgestalten.«
In FCAS haben sich Deutschland, Spanien und Frankreich zusammengetan. Im Laufe der Zeit sollen weitere europäische Nationen dazukommen. »FCAS ist ein gesamteuropäisches Projekt«, erklärt Koch, »das der gemeinsamen europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik einen Schub geben könnte.«
Auch präzises Wissen trägt zur Sicherheit von Einsatzkräften bei. Mit Aufklärung beschäftigen sich Forschende wie Dr. Stephan Palm am Fraunhofer FHR in Wachtberg, genauer mit dem »Synthetic Aperture Radar«. Dabei wird ein Bild aus vielen kleinen Aufnahmen einer beweglichen Antenne generiert, welches die zweidimensionale Reflektivität der Szene darstellt. Am FHR experimentiert man nun mit dem sogenannten Kreis-SAR bei sehr hohen Trägerfrequenzen. Palm hat zu dem Thema auch promoviert.
Dabei zieht ein Flugzeug oder eine Aufklärungsdrohne eine kreisförmige Flugbahn um das zu beobachtende Gebiet und richtet den Radarbeam fortlaufend auf das Zentrum aus. So entstehen Aufnahmen aus mehreren Winkeln, die es ermöglichen, einzelne Objekte dreidimensional zu erfassen, also von mehreren Seiten zu betrachten. Zudem kann eine wesentlich höhere Auflösung als bei herkömmlichen Aufnahmen auf linearer Trajektorie erreicht werden. »Mit Kreis-SAR ist es auch möglich, SAR-Videos zu erzeugen und damit bewegte Objekte auf dem Boden wie etwa fahrende Autos zu visualisieren«, sagt Palm.
Ein Aufklärungsflieger, der in einer Höhe von bis zu 600 Meter über dem Zielgebiet fliegt, kann mit dem aktuellen Experimentalsystem Objekte unter fünf Zentimeter Größe identifizieren. Stellt man mehr Ausgangsleistung zur Verfügung, können auch deutlich größere Flughöhen erreicht werden. Damit wird eine hochauflösende Aufklärung auch bei schwieriger Witterung oder Nacht in Echtzeit realisierbar.
Ein weiterer Schwerpunkt der Forschungstätigkeiten bei Fraunhofer ist die öffentliche Sicherheit. Von großen »Herausforderungen für die Gesellschaft auch durch Gefahren wie Terror, Cyberangriffe und Klimawandel« spricht Daniel Hiller, Geschäftsführer von Fraunhofer SIRIOS. Dieser Zusammenschluss von vier Fraunhofer-Instituten nahm im Januar 2022 in Berlin den Betrieb auf. Die Fraunhofer-Expertinnen und -Experten setzen auf das Prinzip der virtuell erlebbaren Simulation: SIRIOS simuliert detailliert den Verlauf einer Gefahrenlage, z. B. einem Anschlag oder einer Explosion, und die wahrscheinliche Reaktion der betroffenen Menschen. Dabei beschränkt sich die Simulation nicht auf abstrakte Datenreihen und Grafiken. »Wir versuchen diese Ereignisse und ihre konkreten Auswirkungen im virtuellen Raum optisch erlebbar zu machen, bis hin zur 3D-VR-Darstellung.«
Frühzeitig zu warnen, ist das Anliegen von Olaf Korte vom Fraunhofer IIS. Denn das ist im Gefahrenfall wie etwa bei Naturkatastrophen entscheidend. Viele der klassischen Sirenenwarnsysteme wurden in den vergangenen Jahren abgebaut oder nicht mehr gewartet. Zwar gibt es Warn-Apps für das Smartphone, doch sind die Geräte von funktionierenden Mobilfunknetzen abhängig. Deutlich robuster sind Rundfunknetze. Auf die setzt Olaf Korte mit seinen Kolleginnen und Kollegen. Das Konzept EWF (Emergency Warning Functionality) sieht vor, dass von zentraler Stelle, etwa dem Innenministerium, ein Warnimpuls als Umschalt- bzw. Aufwecksignal ausgelöst wird, um eine Audiobotschaft inklusive kurzer Laufschrift für das Display des Endgeräts zu senden. Diese kann von DAB+-Radios empfangen werden. Höherwertige Empfangsgeräte bieten außerdem mehrsprachige und detailliertere Texte für Hörbehinderte und Fremdsprachler. Die Warnhinweise und Texte sind ebenfalls für öffentliche Anzeigetafeln nutzbar. »Ein Vorteil der Technik ist, dass man die Warnnachrichten zum Beispiel vor einem aufziehenden Sturm sehr gezielt regional verbreiten kann«, sagt Korte. Zwar liegt die Verbreitung von DAB+ in Deutschland aktuell nur bei 25 Prozent, doch die Tendenz ist steigend.
Weltweit läuft die Forschung und Technologieentwicklung in den Bereichen Zivilschutz und Verteidigung auf Hochtouren, um Menschen vor den Folgen des Klimawandels, aber auch vor militärischen Angriffen besser zu schützen. Einen stets aktuellen Überblick über die zahlreichen Forschungsaktivitäten liefert das Militärische Technologie-Radar (MiTeRa), das am Fraunhofer FKIE entwickelt wurde.
Dr. Hanna Geppert und Dr. Carsten Winkelholz haben das Software-Tool gemeinsam mit ihrem Team und dem Bundesministerium der Verteidigung (BMVg) geschaffen, um Reifegrad, Intensität und Planungsstand von Forschungsaktivitäten in Bezug auf wichtige Zukunftstechnologien jederzeit im Blick zu haben. »Wenn beispielsweise bestimmte Kommunikationsmittel veralten, ist es wichtig zu wissen, ab wann neue Technologien marktreif sein werden, um Lücken zu vermeiden«, erklärt Geppert. Möglich wird dies durch eine ergonomische Sicht und die Frage, wer zu welchem Zeitpunkt welche Information für eine fundierte Entscheidung benötigt. Das Ergebnis ist eine auf Visual Analytics basierende interaktive und intuitiv verständliche Darstellung. Aktuell wird das Technologie-Radar vom BMVg im Forschungsbereich Cyber und IT genutzt, weitere Themenbereiche sollen bei Bedarf folgen.
Bundeswehr und Verteidigungsministerium wollen auch wissen, was die technologischen Trends der Zukunft sind und wie die zukünftige Ausrüstung der Streitkräfte aussehen soll. Was in 10 oder 20 Jahren in modernen Waffensystemen zum Einsatz kommen wird, befindet sich heute als Forschungsprojekt mit niedrigem Technology Readiness Level in den Laboren rund um die Welt – das meiste davon inzwischen zivil getrieben. Den Überblick hat hier das Fraunhofer-Institut für Naturwissenschaftlich-Technische Trendanalysen INT. »Wir stellen seit mehr als 40 Jahren eine 360°-Rundumsicht auf diese komplexe Technologielandschaft her und beraten das BMVg bei der Ausgestaltung des Ressortforschungsprogramms«, erklärt Prof. Michael Lauster, Leiter des Fraunhofer INT und stellv. Sprecher des Leistungsbereichs Verteidigung, Vorbeugung und Sicherheit (VVS). Zudem gibt die vierteljährlich vom Fraunhofer INT herausgegebene Publikation »Wehrtechnische Vorausschau« den Planern und Entscheidungsträgern die wesentlichen Informationen an die Hand, um zukunftssichere Ausrüstungsentscheidungen treffen zu können.
Die Anforderungen an die Verteidigungsfähigkeit Deutschlands wachsen, der politische Wille ist dokumentiert – und die Forschung steht bereit. »Wir haben dem Verteidigungsministerium bereits gezielt Leistungsangebote unterbreitet«, erklärt VVS-Geschäftsführerin Schweitzer. »Wir sind in der Lage, sehr schnell auf konkrete Anfragen der Bundeswehr zu reagieren und neue Technologien ins Feld zu bringen«, versichert auch Prof. Jürgen Beyerer. Und in der aktuellen Lage kündigt der VVS-Vorsitzende an: »Diese Fähigkeit werden wir in Zukunft noch besser demonstrieren.«
Von Prof. Michael Lauster
In allen Domänen, ob Land, Luft oder See, sind spezifisch angepasste Materialien entscheidend in bewaffneten Konflikten. Wie vor Jahrhunderten die Ritterrüstungen so haben auch moderne Kampfpanzer die Tendenz, immer schwerer zu werden – und damit auch immer unbeweglicher. Widerstandsfähige, leichte Materialien und neue Schutzkonzepte ermöglichen den Bau kleinerer, leichterer Fahrzeuge, die ihre Besatzung genauso gut schützen. Dabei sind sie beweglicher und verbrauchen weniger Energie für ihren Antrieb. Insbesondere unter dem Aspekt der Verknappung von fossilen Treibstoffen ist Gewicht ein wesentliches Kriterium.
Neben neuen Antriebs- und Regelungskonzepten sind leichte, aber gleichzeitig hochtemperaturbeständige Werkstoffe beim Vorstoß in den Hyperschallbereich unverzichtbar. Hyperschallflugkörper bringen eine neue Qualität: Sie sind schwer zu orten, manövrierfähig auch bei höchsten Geschwindigkeiten oberhalb Mach 5, also jenseits der 6000 Stundenkilometer, und verfügen über Reichweiten von mehreren tausend Kilometern. Sie stellen eine derzeit kaum abwehrbare Bedrohung für hochwertige Ziele dar. Um diese zu sichern, kommt deshalb der Entwicklung neuer Tarnmaterialien immer mehr Bedeutung zu, insbesondere auch zum Schutz von Schiffen und U-Booten.
Quantentechnologie verspricht disruptive Entwicklungen nicht nur im zivilen Bereich. Quantencomputer könnten zukünftig beim Materialdesign eine wichtige Rolle spielen. Ihre Entwicklung ist nur ein Aspekt bei der praktischen Anwendung der Quantentheorie, die das Reich des Subatomaren auch für den militärischen Einsatz erschließen soll. Quantenkommunikation, Quantensensoren und nicht zuletzt auch Waffen, die auf Quanteneffekten beruhen, wie etwa Laser mit Leistungen oberhalb 100 kW, sind derzeit bereits in der Entwicklung.
Maschinelles Lernen und Mustererkennung bieten inzwischen wertvolle Unterstützung in der Auswertung von Sensordaten oder in der Erkennung von gegnerischem Verhalten. Wichtig in der militärischen Anwendung sind hier vor allem nachvollziehbare Entscheidungsvorgänge (»Explainable AI«) sowie die Störsicherheit eigener, aber auch die Verwirrbarkeit gegnerischer Künstlicher Intelligenz (»Adversarial AI«). Das digitale Abbild eines Gefechtsfelds wird auf allen Hierarchieebenen verfügbar sein und situationsgerecht die benötigten Informationen übermitteln.
Raumfahrt wird eine immer stärkere Rolle in Fragen der Sicherheit einnehmen: Nicht nur Navigation und Kommunikation werden über Satelliten abgewickelt werden. Aufklärung, auch aus dem niedrigen Erdorbit und mit je nach Bedarf gestarteten und bedarfsgerecht konfigurierten Konstellationen, wird zukünftig möglich sein. Unter dem Schlagwort »Responsive Space« werden reaktionsschnell innerhalb kurzer Zeit ausgefallene Kapazitäten im Orbit mit eigenen Startmöglichkeiten ersetzt werden.
Technologie war zu allen Zeiten ein entscheidender Faktor in bewaffneten Konflikten. Wer die effektiveren Waffen bauen konnte, hatte einen wesentlichen Vorteil auf seiner Seite. Schwerter und Schilde aus Bronze waren härter und haltbarer als ihre Vorläufer aus Kupfer oder Holz und Tierhäuten. Die Entwicklung durchschlagskräftiger Armbrüste und erster Vorderladergewehre setzte der Ära der schwergepanzerten Ritter ein Ende; Flugzeuge haben die Domäne »Luft« als weiteres Gefechtsfeld erschlossen, ihre Kombination mit Schiffen, auf denen sie starten und landen können, ermöglichten globale Machtprojektion. Das Spektrum der Kernwaffen, zusammen mit Trägerraketen und anderen, weitreichenden Transportmitteln, hat zum Aufstieg der Supermächte geführt. Auch heute streben Armeen nach der hochwertigsten Ausrüstung. Dennoch gilt: Die modernste Technologie ist wertlos ohne die Menschen, die wissen, wie sie zu nutzen ist. Entscheidend ist der Unterschied zwischen Kampfwert, also der Art und Anzahl der Waffen, und dem Gefechtswert, also der Entschlossenheit und dem Geschick, sie einzusetzen. Erst die Kombination aus effektiven Technologien und hoch motivierten, gut ausgebildeten Soldaten bringt den Erfolg in der Gefechtssituation.
Trotz aller moderner Technologie behält der 2500 Jahre alte Ratschlag Gültigkeit, von Sun Tzu in »Die Kunst des Krieges« formuliert, dem frühesten überlieferten Werk über Strategie: »Zu kämpfen und zu erobern ist in allen Deinen Kämpfen nicht das höchste Können; das höchste Können besteht darin, den Widerstand des Feindes ohne Kampf zu brechen.«