Kohlendioxid – vom Klimakiller zur wertvollen Rohstoffquelle

Webspecial Fraunhofer-Magazin 1.2024

Resozialisierungsprogramm für den Klimakiller Nummer 1: Immer mehr technologische Innovationen wollen CO2 als nachhaltige Kohlenstoffquelle nutzbar machen.

Ein Teil Kohlenstoff, zwei Teile Sauerstoff: Kohlendioxid ist eine ziemlich simple chemische Verbindung. Mit aktuell 0,04 Prozent macht sie auch nur einen winzigen Teil unserer Luft aus. Doch das reicht aus, um der Welt große Probleme zu bereiten. Denn Kohlendioxid in der Atmosphäre kann die von der Erde abgegebene Wärme aufnehmen und zurückwerfen auf den Planeten. Das Gas gilt innerhalb der Treibhausgas-Mafia als Klimakiller Nummer 1. Und das nicht, weil es ein besonders hohes Treibhauspotenzial hat – hier liegen Lachgas, die Fluorkohlenwasserstoffe und Methan im Ranking deutlich vor CO2 –, sondern weil es mengenmäßig den größten Anteil aufweist und verhältnismäßig lange in der Atmosphäre verbleibt.

Die Reduktion des Kohlendioxid-Ausstoßes gilt aktuell als Königsweg im Kampf gegen den Klimawandel. Doch das allein reicht nicht aus: Auf 60 Millionen Tonnen pro Jahr wird die Menge der unvermeidbaren CO2-Emissionen in Deutschland geschätzt. Dennoch will die Bundesregierung bis 2050 ein Negativ-Emissionsland sein. Wie soll das gehen? Der Zaubertrick dabei ist die Idee, mehr Kohlendioxid zu binden als freizusetzen. Und das soll über drei Mechanismen funktionieren: »Carbon Capture and Storage« (CCS), also das Auffangen und Speichern von Kohlendioxid, und »Carbon Capture and Usage« (CCU), was der Nutzung des Gases nach dem Abscheiden entspricht. Eine dritte Version ist CDR – »Carbon Dioxide Removal« – mit dem Ziel, CO2 aus der Atmosphäre zu entfernen und dauerhaft in geologischen Formationen oder ozeanischen Speichern, in Biomasse oder in langlebigen Produkten zu speichern, um so echte Negativemissionen zu erreichen. Bei der Entwicklung der entsprechenden Technologien drängt die Zeit: Allein um die Klimaziele Deutschlands bis 2030 zu erreichen, sind CO2-Abscheidungen im Megatonnenbereich nötig.


Kohlendioxid direkt aus der Luft holen

Das Prinzip »Direct Air Carbon Capture and Storage« (DACCS) soll Kohlendioxid aus der Atmosphäre filtern. Dafür wird die Luft über einen Ventilator an einem Sorptionsmittel vorbeigeleitet, in dem sich CO2 anlagert. »Aufgrund der geringen natürlichen CO2-Konzentration in der Luft ist die Entnahme des Treibhausgases mit einem sehr hohen Energieverbrauch verbunden«, konstatiert Dr. Barbara Breitschopf, Projektleiterin am Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung ISI, die mit ihrem Team die Potenziale von DACCS in einem Policy Brief ausgelotet hat. Sinn ergibt DACCS also nur dort, wo erneuerbare Energien ausreichend vorhanden sind. »Aus Gründen der Energieeffizienz sollte aber prioritär die Entnahme von CO2 aus verfügbaren Punktquellen erfolgen«, urteilt die Fraunhofer-Expertin: Lieber das Gas direkt am Ort des Entstehens auffangen, als es erst in die Atmosphäre zu entlassen, um es anschließend energetisch aufwendig und teuer wieder herauszufiltern.

Eine dieser Punktquellen für CO2 kann die Herstellung von Wasserstoff aus oder durch Biomasse sein. Denn H2 wird nicht nur über Elektrolyse gebildet, sondern auch durch Umwandlung von biogenen Rest- und Abfallstoffen etwa aus der Lebensmittelherstellung oder der Agrarwirtschaft: Im Projekt H2Wood – Blackforest beispielsweise arbeiten Forschende des Fraunhofer-Instituts für Grenzflächen- und Bioverfahrenstechnik IGB daran, Holzabfälle im Schwarzwald für die Wasserstofferzeugung zu nutzen. Wird das bei solchen Prozessen als Nebenprodukt entstehende biogene Kohlendioxid aufgefangen und dauerhaft genutzt oder gespeichert, spricht man von einer CO2-negativen Wasserstoffproduktion – ein Zweifachgewinn aus ökologischer Sicht.

Sonja Ziehn, Fraunhofer IPA
© Maya Claussen

»Unter welchen Bedingungen entsteht am meisten Wasserstoff, aber auch besonders viel CO2


Sonja Ziehn, Fraunhofer IPA

»Der Überbegriff für alle Arten der Biowasserstoff-Herstellung mit anschließender Speicherung von biogenem CO2 lautet Hy-BECCS«, erklärt Umweltwissenschaftlerin Sonja Ziehn. Für ihre Masterarbeit hatte sie am Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung IPA in Stuttgart im Projekt RhoTech daran geforscht, wie sich mithilfe von Purpurbakterien namens Rhodospirillum rubrum über die sogenannte »Dunkel-Photosynthese« aus Frucht- und Molkereiabfällen Wasserstoff produzieren lässt. Die Mikroorganismen nutzen hier den Zucker in den Reststoffen anstelle von Licht als Energiequelle. Großer Vorteil der Wasserstoff-Produktion im Dunkeln ist, dass der Prozess in herkömmlichen Bioreaktoren aus Edelstahl beliebig hochskaliert werden kann. In einem Folgeprojekt – RhoTech II – wird nun ein Bioreaktor in die Produktionsabläufe einer Fruchtsaftfirma integriert, um mit den anfallenden Reststoffen die bakterielle Wasserstoffproduktion in Gang zu setzen. »Der Fraunhofer-Fokus liegt dabei auf der wirtschaftlichen und ökologischen Prozessoptimierung«, betont Sonja Ziehn: »Unter welchen Bedingungen entsteht am meisten Wasserstoff, aber auch besonders viel CO2

Die Produktion von Kohlendioxid maximieren: Das klingt angesichts des Klimawandels paradox. Doch dieses biogene CO2 lässt sich nicht nur gut abscheiden, sondern auch einsetzen als Rohstoff für Chemikalien und Produkte, die bislang auf fossilem Kohlendioxid basierten und deshalb einen großen ökologischen Fußabdruck hinterlassen. »Nach dem Auslaufen der Förderung für Biogasanlagen nach dem Erneuerbare-Energien-Gesetz EEG suchen Betreiber nach neuen Geschäftsmodellen«, erklärt Forscherin Ziehn. »Der Umstieg auf Wasserstoffproduktion über eine Hy-BECCS-Anlage ist eine Option, zumal Wasserstoff sich als Alternative zum Agrardiesel für Traktoren und andere landwirtschaftliche Maschinen geradezu anbietet.« Die Vermarktung von »grünem« Kohlendioxid könnte sich durch die Hy-BECCS-Technologien zu einem interessanten Nebenerwerb der Landwirtschaft und Lebensmittelproduktion entwickeln.

Eine andere Perspektive für Agrarbetriebe mit Biogasanlagen offerieren die Forschenden am Fraunhofer-Institut für Mikrotechnik und Mikrosysteme IMM. Denn das produzierte Biogas dient bislang vorwiegend zur Strom- und Wärmeerzeugung oder wird nach einem Aufbereitungsprozess als Methan ins Erdgasnetz eingespeist. Das dabei frei werdende Kohlendioxid landet bislang ungenutzt in der Atmosphäre. Auch wenn es sich dabei um biogenes und nicht fossiles CO2 handelt, hält Dr. Gunther Kolb das für Verschwendung: »Sinnvoller wäre es, auch den CO2-Anteil des Biogases – der immerhin 40 Prozent ausmacht – in Methan umzuwandeln und so das Biogas komplett ins Erdgasnetz einzuspeisen«, konstatiert der Leiter des Geschäftsbereichs Energie beim Fraunhofer IMM.
Im Projekt ICOCAD I entwickelte das Forscherteam Reaktoren und Katalysatoren, die in der Lage sind, das im Biogas enthaltene Kohlendioxid mithilfe von grünem Wasserstoff zu methanisieren – und das in Gegenwart des bereits vorhandenen Methans. Herausforderung hierbei war unter anderem, erklärt Chemieingenieur Kolb, eine Pilotanlage aufzubauen, die auch über ein gutes Wärmemanagement verfügt: »Im Reaktor entsteht Wärme, die man aber auskoppeln und beispielsweise in einem lokalen Fernwärmenetz nutzen kann. So entwickelt sich ein Gesamtprozess, der wirtschaftlich attraktiv ist für Landwirte, die ja immer mehr zu Energiewirten werden.«


Im Folgeprojekt ICOCad II wird nun eine Demonstrationsanlage neben einer Biogaseinspeisungsanlage installiert, um den Prozess zu skalieren und den praktischen Betrieb zu optimieren. Die ökologischen Chancen, die in dieser Technologie stecken, sind laut Kolb groß: »Wird das gesamte Biogas aus den deutschlandweit rund 9000 Anlagen komplett ins Erdgasnetz eingespeist, könnte man damit rund 13 Prozent des deutschen Erdgasbedarfs abdecken – und das aus rein biogenen Quellen und in besserer Qualität als Erdgas aus fossilen Quellen.«

Das Fraunhofer-Institut für Umwelt-, Sicherheits- und Energietechnik UMSICHT nimmt bei der Speicherung von Kohlendioxid den Umweg über die Pflanzen. Denn die holen CO2 aus der Luft und spalten es mittels Photosynthese auf. Während sie den entstehenden Sauerstoff an die Umgebung abgeben, verbleibt der Kohlenstoff in der Pflanze selbst sowie in ihren Wurzeln. Verbrennt man allerdings Biomasse, wird das CO2 wieder freigesetzt. Im Projekt KARBO-SELF am Fraunhofer UMSICHT sollen mithilfe einer am Institut entwickelten Karbonisierungstechnologie biogene Reststoffe unter Sauerstoffausschluss verbrannt werden, sodass der in den Pflanzen steckende Kohlenstoff in Form von Pflanzenkohle stabil gebunden bleibt und so als Kohlenstoffsenke fungiert.
Fraunhofer selbst plant, diese Technologie an eigenen Standorten vorzubereiten und parallel eine Methodik zur Zertifizierung der Pflanzenkohleprodukte als Kohlenstoffsenke zu entwickeln. Außerdem soll untersucht werden, welche Rolle die Pflanzenkohle als Zusatz in Baumaterialien oder in der Landwirtschaft spielen könnte.

 

Plattform-Chemikalien als CO2-Speicher

Kohlendioxid lässt sich aber auch chemisch speichern, schließlich ist Kohlenstoff ein unverzichtbarer Bestandteil vieler Alltagsprodukte. Im Projekt e-CO2Met, koordiniert vom Energieunternehmen TotalEnergies, arbeiten Forscherinnen und Forscher des Fraunhofer-Zentrums für Chemisch-Biotechnologische Prozesse CBP daran, grünen Wasserstoff und Kohlendioxid zu Methanol umzuwandeln. Geplant ist hierfür die Nutzung einer eigens an diesen Prozess angepassten Pilotanlage am Fraunhofer CBP. Das bedeutet zwar keine langfristige Lagerung von CO2, aber: »Methanol ist eine sehr gute Plattform-Chemikalie und dient als Ausgangsstoff für eine Vielzahl von Produkten der chemischen Industrie sowie für den Transportsektor«, betont Dr. Ulrike Junghans. Die Chemikerin leitet am Fraunhofer CBP die Abteilung Regenerative Ressourcen.


Grün hergestelltes Methanol ist preislich noch nicht konkurrenzfähig, doch Junghans baut darauf, dass sich das bald ändert – etwa durch effizientere Prozesse oder auch neuartige Katalysatoren, die besser mit CO2 aus industriellen Punktquellen zurechtkommen. »Auf lange Sicht wird die Industrie nicht herumkommen um den Einsatz nichtfossiler Kohlenstoffquellen«, zeigt sie sich überzeugt. »Carbon Capture, also das Auffangen von Kohlendioxid aus der Luft oder an Punktquellen, wird deshalb künftig eine immer größere Rolle spielen.« Momentan ist CO2 reichlich vorhanden, doch das könnte sich mit wachsender Dekarbonisierung der Industrien ändern. Wird CO2 also eines Tages eine heiß begehrte Ware sein? Junghans: »Das kann ich mir durchaus vorstellen.« Umso wichtiger sei es, diese Rohstoffquelle in eine zirkuläre Wirtschaft zu implementieren.

 

Dr. Ulrike Junghans, Fraunhofer CBP
© Maya Claussen

»Auf lange Sicht wird die Industrie nicht herumkommen um den Einsatz nichtfossiler Kohlenstoffquellen.«


Dr. Ulrike Junghans, Fraunhofer CBP

Kohlendioxid auf die Sprünge helfen

Die Herausforderung bei Kohlendioxid ist, dass das Gas »ein ausgesprochen träges Molekül ist«, wie Dr. Thomas Schiestel, Abteilungsleiter Membranen am Fraunhofer IGB in Stuttgart, es ausdrückt: Die zwei Sauerstoffatome und das eine Kohlenstoffatom wollen sich nur ungern aus ihren Doppelbindungen lösen, um andere Verbindungen einzugehen. »Es bedarf viel Energie, um CO2 sinnvoll verwenden zu können«, erklärt Schiestel. Und ebendas macht die Nutzung von Kohlendioxid teuer und – sofern nicht erneuerbare Energien eingesetzt werden – wenig nachhaltig. Schiestel fahndet deshalb nach Wegen, wie sich die CO2-Weiterverwendung ökonomisch sinnvoll gestalten lässt: zum einen durch Überführung in Chemikalien oder Produkte, zum anderen aber auch als Energiesenke für die volatilen erneuerbaren Energien.

Im Projekt PiCK (»Plasmainduzierte CO2-Konversion zur Speicherung regenerativer Energien«) kommt Überschussstrom aus regenerativen Energiequellen zum Einsatz. Hierfür wird das stabile Kohlendioxid energetisch in einem Plasma gespalten, also einem ionisierten Gas mit hochreaktiven Teilchen. Damit nicht sofort wieder eine Rückreaktion stattfindet und sich die Spaltprodukte Kohlenmonoxid und Sauerstoff erneut zu CO2 verbinden, werden dem System die Sauerstoffteilchen über eine neuartige Keramikmembran entzogen. »Da die Membran den hohen Temperaturen im Plasma von bis zu 1000 Grad Celsius und zugleich der CO2-Konzentration standhalten muss, haben wir sogenannte Perowskite, also spezielle keramische Materialien, mit Polymeren zu einer dünnwandigen Kapillare versponnen«, erklärt Schiestel die Membran-Besonderheiten. Im Nachfolgeprojekt NexPlas soll auch Wasserstoff ins System eingebracht werden, um Folge-reaktionen im Plasma durchführen zu können – eine weitere Herausforderung für die Perowskite-Membran. Der Vorteil der Plasma-Membran-Kombination ist ihre Anpassungsfähigkeit. Sie lässt sich überall dort einsetzen, wo CO2 entsteht: bei Verbrennungsprozessen etwa in Kraftwerken und der thermischen Müllverwertung, in der Zement- und Glasindustrie sowie in Brauereien, in denen Kohlendioxid als Nebenprodukt der alkoholischen Gärung gebildet wird. Thomas Schiestel: »Auf industrieller Seite besteht bereits Interesse an unserer Plasma-Membran-Kombination.«

Bauen auf nachhaltige Material-Innovationen

Einen anderen Weg der nachhaltigen Speicherung von Kohlendioxid geht Dr. Michael Prokein: Der Gruppenleiter Funktionale Materialien am Fraunhofer UMSICHT hat im Projekt NuKoS(Nutzung von Kohlendioxid in Schlacken) mit seinem Team ein Verfahren entwickelt, bei dem Kohlendioxid eingesetzt wird, um aus Reststoffen der Stahlindustrie umweltfreundliche Mauerwerksteine zu gewinnen. Diese könnten dann Baustoffe mit hohem CO2-Fußabdruck vollständig ersetzen.

»Wir fokussieren dabei auf den Teil der Stahlwerkschlacken, der zu feinkörnig ist, um anderweitig weiterverwendet zu werden, und deshalb bislang teuer deponiert werden muss«, berichtet Prokein. Das Kohlendioxid wiederum stammt beispielsweise aus Prozessgasen der Stahl- und Eisenindustrie oder der Zementherstellung. NuKoS geht also gleich zwei ökologische Herausforderungen an: Zum einen zählt die Stahl- und Zementindustrie zu den größten CO2-Emittenten, zum anderen entstehen in Deutschland bei der Stahlherstellung jährlich rund 14 Millionen Tonnen Eisenhüttenschlacken. »Die Feinfraktion der Stahlwerkschlacke wird aufgemahlen und mit Sand und Wasser gemischt«, beschreibt Prokein den Prozess. »Der Mix wird dann zu beliebigen Formkörpern gepresst und anschließend zur Härtung einer CO2-Atmosphäre mit 15 bar und 50 Grad ausgesetzt.« Dabei verbindet sich das Kohlendioxid dauerhaft chemisch mit dem Stein: eine CO2-Senke in Ziegelform. »Die moderaten Produktionsbedingungen bergen ein hohes Energiesparpotenzial im Vergleich zu anderen Härteverfahren«, betont Michael Prokein. Weiterer Vorteil: Für diesen Prozess können die Autoklaven, die bislang für die Herstellung von Kalksandstein im Einsatz sind, einfach umgerüstet werden.

Die Testergebnisse für die schlackebasierten Baustoffe sind ermutigend: »Wir erreichen Druckfestigkeiten, die denen von Beton entsprechen«, konstatiert Prokein. Und: Bei der Herstellung von einem Kubikmeter CO2-gehärtetem Stein entsteht eine CO2-Senke von 80 Kilogramm – während bei der Produktion von konventionellen Kalksandsteinen 250 Kilogramm Kohlendioxid pro Kubikmeter freigesetzt werden. Oder wie Prokein es ausdrückt: »Aus technologischer, ökonomischer und ökologischer Sicht ist der schlackebasierte Stein der absolute Wahnsinn!«

Das Interesse der Bauwirtschaft ist entsprechend groß, es hakt aber noch an der Bürokratie: »Ungeklärt ist momentan, ob Stahlwerkschlacken für diesen Anwendungsfall als Baumaterial eingesetzt werden dürfen«, erklärt der Fraunhofer-Forscher. Sobald derlei Fragen beantwortet sind, könnte die Industrie loslegen: Aus technologischer Sicht ist der Produktionsprozess des CO2-negativen Baumaterials fertig für den Transfer.

Dr. Grzegorz Kubik, Fraunhofer IGB
© Maya Claussen

»Wir züchten eine Mikroalge, die CO2 mithilfe von Licht verstoffwechselt und in der Lage ist, Fettsäuren herzustellen.«


Dr. Grzegorz Kubik, Fraunhofer IGB

Die Mikroalge macht den Sportschuh

Auch die Textilindustrie will sich transformieren von erdöl- hin zu biobasiert – und das möglicherweise mithilfe winziger Organismen: Im Teilprojekt AlgaeTex innerhalb des vom Bundesforschungsministerium geförderten Innovationsraums BioTexFuture arbeiten Forscherteams der Fraunhofer-Institute IGB und CBP sowie der Uni Bayreuth und dem Institut für Textiltechnik ITA an der RWTH Aachen gemeinsam mit dem Sportartikel-Hersteller Adidas an Lösungen, um Kohlendioxid in Funktionstextilien zu speichern. Wie das gehen soll? »Wir züchten eine spezielle Mikroalge, die CO2 mithilfe von Licht verstoffwechselt und unter bestimmten Rahmenbedingungen in der Lage ist, Fettsäuren herzustellen«, erklärt Dr. Grzegorz Kubik. Diese Fettsäuren, so der Abteilungsleiter Industrielle Biotechnologie am Fraunhofer IGB, lassen sich chemisch umwandeln in Polymere, die dann von der Firma Adidas zu einer Art Nylon-Gewebe verstrickt und etwa als Obermaterial für Sportschuhe verwendet werden sollen: Schuhe, mit denen das Unternehmen seinen ökologischen Fußabdruck verkleinert.

Algen in Kellern kultivieren: Das Team am Fraunhofer IGB hat im Projekt AlgaeTex einen stapelbaren, indoor betreibbaren Photobioreaktor entwickelt. Der Vorteil: Wie bei allen Reaktoren wird keine fruchtbare Agrarfläche besetzt, außerdem entfällt die Abhängigkeit von Standorten mit guter Sonnenverfügbarkeit. Der Nachteil: Die Mikroalgen müssen mit künstlichem Licht statt Sonnenstrahlen versorgt werden – bis zu 100 Kilowattstunden pro Kilogramm Algenmasse. »Der Energieeinsatz ist deshalb eines der Kernthemen dieser Technologie«, erläutert Kubik. Je stärker sich aber der Anteil erneuerbarer Energien im Energiemix erhöht, desto umweltfreundlicher und auch günstiger wird es, Mikroalgen in Deutschland zu kultivieren. Kubik: »Die Verfügbarkeit von erneuerbarer Energie ist derzeit das Nadelöhr für die Speicherung von CO2 durch Mikroalgen.« Auch deshalb arbeitet das Forschungsteam aktuell an einer Optimierung der benötigten Lichtmenge und damit des Stromverbrauchs. Ein anderes Augenmerk liege »auf der Weiterverwertung der Alge etwa als Düngemittel in der Landwirtschaft oder als Futtermittel in der Viehzucht. Wir wollen nicht nur die Effizienz der Algenproduktion erhöhen, sondern auch deren Weiterverwertung«.

Die Optimierung des mikrobiologischen Ansatzes in der CO2-Nutzung könnte sich weit über die Textilindustrie hinaus lohnen. Denn Algen sind in der Lage, mit Lichtenergie und Kohlendioxid noch ganz andere Substanzen zu bilden und zu speichern, etwa Stärke: »Wir müssten Zucker dann nicht mehr aus pflanzlicher Biomasse herstellen, sondern könnten ihn aus Mikroalgen generieren und dadurch Agrarfläche einsparen«, erklärt Kubik. »Oder Algen nutzen, um CO2 in Form von Kalk zu sedimentieren und dann zu lagern oder in der Bauindustrie zu nutzen.«

Im Projekt SmartBioH2 am Fraunhofer IGB produzieren Purpurbakterien in einem geschlossenen Bioreaktor aus Reststoffströmen Wasserstoff und Produkte wie Carotinoide. Das dabei entstehende Kohlendioxid wird von Mikroalgen in Biomasse gebunden – unter Freisetzung von weiterem Wasserstoff oder aber Produkten wie Proteinen.

Kohlenstoff klug im Kreislauf führen

Von Mikroorganismen zum Mega-Maßstab: Das Verbundprojekt Carbon2Chem® nimmt mit der Stahl-, Zement- und Kalkproduktion ebenfalls die größten industriellen CO2-Emittenten in den Fokus. »Wir suchen nach Wegen und Technologien, um den Kohlenstoff bestmöglich im Kreislauf zu führen, sodass er nach Entstehung nicht freigesetzt, sondern vor Ort nachhaltig weiterverwertet wird«, fasst Prof. Dr.-Ing. Görge Deerberg zusammen. Der Direktor für Transfer am Fraunhofer UMSICHT ist einer der Projektkoordinatoren des 2016 gestarteten Mammut-Projekts: Gefördert vom Bundesministerium für Bildung und Forschung, bringen sich hier Grundlagenforschung, angewandte Forschung und unterschiedliche Industriezweige gleichermaßen ein. »Dieses cross-industrielle Netzwerk ist essenziell für das Gelingen des Projekts Carbon2Chem®«, befindet Deerberg. Ihm geht es hier nicht allein um die Entwicklung einzelner Technologien, sondern um deren Integration zu einem branchenübergreifenden Gesamtwerk. In dem wird es ganz neue Konstellationen von Kooperationen geben: »Die Chancen und Risiken der CO2-Nutzung müssen fair verteilt werden. Das ist eine Voraussetzung für langfristigen Erfolg.«


Im Zentrum von Carbon2Chem® steht die Substitution: Der Kohlenstoff, der für die Produktion von vielen industriell relevanten Basischemikalien, Kunststoffen und synthetischen Kraftstoffen benötigt wird, soll künftig nicht mehr aus fossilen Quellen stammen, sondern aus Prozessgasen der Industrie sowie aus der thermischen Abfallverwertung. Phase 1 des Projekts beschäftigte sich unter anderem mit dem Thema Gasreinheit. »Hüttengase aus der Stahlindustrie entstehen am Hochofen, am Konverter und in der Kokerei. Entsprechend unterschiedlich ist auch deren Zusammensetzung«, erklärt Chemieingenieur Deerberg. Es wurden deshalb zunächst Technologien entwickelt, um die Gase zu analysieren und anschließend so weit zu reinigen, dass sie weiterverarbeitet werden können, ohne katalytische Prozesse zu stören. Eine andere Herausforderung war die der schwankenden Konzentrationen der Komponenten in den Prozessgasen: »Die Technologien in Chemieanlagen haben es gerne genau, sie können schlecht mit Bandbreiten umgehen«, erläutert Deerberg. »Es galt, einen Systemansatz zu formulieren, der anpassungsfähig ist für Rahmenbedingungen, die sich nicht nur minütlich ändern, sondern auch als Folge der industriellen Transformation über Jahre hinweg.«
In Phase 2, gestartet 2020, steht die Skalierung der Technologie an. Dafür wurde das 500 Quadratmeter große Labor auf dem Gelände des Fraunhofer UMSICHT erweitert um ein 3700 Quadratmeter großes Technikum direkt neben dem Werksgelände der thyssenkrupp Steel Europe AG in Duisburg. Die Demonstrationsanlagen sind angebunden an das Leitungsnetzwerk des Hüttenwerks. 2018 gelang erstmals die Herstellung von Methanol aus Hüttengasen, »gerade mal ein kleines Glas voll«, erinnert sich Prof. Deerberg. »Aber das war schon ein ganz besonderer Moment für uns alle.« Eine nächste Anlage soll bereits 12 Tonnen pro Tag produzieren.
Phase 3 schließlich wird sich mit dem Technologietransfer in andere emissionsstarke und energieintensive Betriebe befassen, etwa Zementwerke und Müllverbrennungsanlagen. »Carbon2Chem® will die große industrielle Transformation begleiten und vorantreiben«, betont Projektkoordinator Deerberg. Denn auch wenn die Reduktion von CO2-Emissionen weiter engagiert voranschreitet, wird es immer Sektoren geben, die unweigerlich Kohlendioxid produzieren. Deshalb plädiert Deerberg dafür, parallel zu der Entwicklung innovativer CCU-Technologien am Image von Kohlenstoff zu arbeiten: »Im Moment fokussieren viele auf die strikte Vermeidung von Kohlenstoff. Dabei ginge es auch anders: Kohlenstoff weiter nutzen – aber eben nicht mehr den aus fossilen Rohstoffen.«

Dr. Arne Roth, Fraunhofer IGB
© Maya Claussen

»CO2 ist ein bedeutender Rohstoff, den man besser in eine zirkuläre Wirtschaft überführen sollte, anstatt immer wieder neue kohlenstoffhaltige Ressourcen aus dem Boden zu holen.«


Dr. Arne Roth, Fraunhofer IGB

Lässt sich mit CO2 bald Geld verdienen?


Im Kompetenzzentrum Biointelligenz wagt sich Dr. Jonathan Fabarius, Themenfeldleiter Mikrobielle Katalyse am Fraunhofer IGB, noch einen Schritt weiter: »Geld verdienen mit CO2?« betitelt er eine Blogserie und untersucht im Beitrag zum »Abschied vom fossilen Zeitalter«, wie aus Kohlendioxid wichtige chemische Wertstoffe generiert werden können. Kohlendioxid als sprudelnde Geldquelle? Auch sein Kollege Dr. Arne Roth, Abteilungsleiter Nachhaltige katalytische Prozesse am Fraunhofer IGB, betont die Bedeutung von CO2 als »wichtigen Rohstoff, den man besser in eine zirkuläre Wirtschaft überführen sollte, anstatt immer wieder neue kohlenstoffhaltige Ressourcen aus dem Boden zu holen«. Für den kommerziellen Erfolg vieler CO2-basierter Wertschöpfungsketten müssten aber noch durch zielgerichtete und entschlossene Forschung und Entwicklung die technischen Voraussetzungen geschaffen werden.
 

Im EU-Projekt EcoFuel soll diese Idee in die elektrochemische Herstellung synthetischer Kraftstoffe aus Kohlendioxid und Wasser einfließen. »Wir haben hier mit verschiedenen europäischen Partnern eine innovative Prozesskette erarbeitet, die mit CO2 startet, das mittels Direct Air Capture, also aus der Luft gewonnen wird«, berichtet Roth. In einem nächsten Schritt wird das Gas elektrokatalytisch umgesetzt zu Ethen, einem C2-Gas, das dann wiederum in Flüssigkraftstoffe umgesetzt wird. Power-to-X-to-Y lautet die Kurzformel für diesen Kaskadenansatz. Am bayerischen Zentrum für nachhaltige Kraftstoffe (ZENK) wollen Forschende der Fraunhofer-Institute IGB und UMSICHT neue Produktionswege für Kraftstoffe auf der Basis von CO2, Biomasse und erneuerbarem Strom eruieren und sie bis in den Technikums-Pilotmaßstab skalieren. entwickeln und diese klug miteinander kombinieren, können wir aus Kohlendioxid eine große Bandbreite an chemischen Produkten herstellen«, ist Fraunhofer-Experte Roth überzeugt. Am Herzen liegt ihm besonders die Kombination aus CO2-Konversion und Biotechnologie: Aus Kohlendioxid elektrokatalytisch generierte C1-Chemikalien wie Ameisensäure oder Methanol können als Futter für Mikroorganismen dienen, die daraus hochwertigere Chemikalien produzieren. Solche vielversprechenden hybriden Ansätze wurden bereits im Team von Jonathan Fabarius demonstriert: Im Projekt CELBICON gelang es den Forschenden am Fraunhofer IGB, mithilfe der Synthesekompetenz von Bakterien CO2 aus der Atmosphäre in einen terpenoiden Farbstoff umzuwandeln – natürliche Pigmente, die auch in Pflanzen oder Algen vorkommen. »Mikroorganismen sind sensationelle Chemiker«, betont Roth: »Auch ohne hohe Temperaturen oder Drücke verstoffwechseln sie Kohlendioxid zu Produkten, die dann mitun-ter das Treibhausgas sogar langfristig speichern. Von der Natur sollten wir uns viel häufiger etwas abschauen.«

Ein Gedanke, der auch den Chemiker Ulf-Peter Apfel fasziniert: »Für die Natur ist CO2 keine Problem-Chemikalie, sondern als C1-Quelle ein immens wichtiger Ausgangsstoff. Hinsichtlich CO2-Nutzung können wir nur lernen von der Natur«, konstatiert der Leiter der Abteilung Elektrosynthese am Fraunhofer UMSICHT und Professor an der Ruhr-Universität Bochum. Deshalb redet er weniger von der »Dekarbonisierung« der Industrie und vielmehr von einer »Defossilierung«, also einer Verringerung von CO2 aus fossilen Rohstoffen. Daran arbeitet er etwa in dem 2022 gestarteten Verbundprojekt CO2-Syn.

Im Zentrum steht hier die Zementindustrie, die bis zu acht Prozent der globalen Kohlendioxid-Emissionen beisteuert. Und das wird sich so schnell nicht verhindern lassen, denn wenn Kalziumcarbonat – einer der Hauptausgangsstoffe der Zementherstellung – zu Kalziumoxid verbrannt wird, entsteht unweigerlich Kohlendioxid. »Das ist eine riesige Punktquelle, die wir nutzen können«, findet Apfel. Ähnlich wie in dem Projekt Carbon2Chem® geht es auch hier um die Verwendung von CO2 aus Abgasströmen – diesmal zur Herstellung von Synthesegasen (eine Mischung aus Kohlenmonoxid und Wasserstoff), die dann als Basischemikalien für Olefine und höhere Alkohole dienen.
Das bei der Zementproduktion entstehende CO2 ist allerdings verunreinigt mit Staub und anderen potenziellen Störfaktoren. Wie lässt sich das wirtschaftlich verträglich reinigen? Oder gibt es vielleicht sogar Wege, auf eine Aufreinigung zu verzichten? »Dafür benötigen wir Katalysatoren, die besonders resistent gegenüber Verunreinigungen sind«, erklärt Apfel. Im Moment stehen bei ihm sulfidbasierte Katalysatoren im Mittelpunkt, »die sind besonders robust, die kann man gar nicht so einfach vergiften«. Erste Tests möglicher Prozessrouten sind bereits abgeschlossen; nun steht die Inbetriebnahme einer Pilotanlage an: »Mit der kann man pro Tag 100 Kilogramm CO2 umwandeln«, berichtet Apfel. »Das ist die weltweit erste Anlage in diesem Maßstab.«

Ulf-Peter Apfel, Fraunhofer UMSICHT
© Maya Claussen

»Für die Natur ist CO2 keine Problem-Chemikalie, sondern als C1-Quelle ein immens wichtiger Ausgangsstoff. Hinsichtlich CO2-Nutzung können wir nur lernen von der Natur.«


Ulf-Peter Apfel, Fraunhofer UMSICHT

Dass deutsche Unternehmen der Idee der CO2-Nutzung oft noch skeptisch gegenüberstehen, verwundert Ulf-Peter Apfel. »Schon bald wird in industriellen Prozessen immer weniger Kohlendioxid entstehen. Mit nachhaltigen C1-Punktquellen wird man dann viel Geld verdienen«, prognostiziert er. »Dafür muss man aber schon jetzt in passende Prozesse und Systeme investieren.« Wenn er auf das blickt, was sich in den letzten fünf Jahren technologisch gerade im Bereich CCU getan hat, »denke ich, dass wir spätestens in zehn Jahren richtig große Anlagen überall stehen haben«. Ein CO2-neutrales Deutschland bis 2050 könne allein durch Vermeidung des Treibhausgases nicht erreicht werden, es sei eine deutlich vielfältigere Denk- und Herangehensweise gefordert: »Wir dürfen nicht nachlassen in der Suche nach immer neuen Königswegen.«

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