Da sind wir ja schon in der Arbeitswelt. Sie selbst hatten »den besten Job der Welt«. Das war leider schon 2013, da sind Sie als jüngste Parlamentarierin in den Bayerischen Landtag eingezogen. Zehn Jahre später: Ist Deutschlands erste spezialisierte Digitalministerin ein Abstieg zum zweitbesten Job?
Ich komme aus der Sozialpolitik und war in meiner ersten Legislaturperiode im Sozialausschuss. Das hat mich geprägt, weil es so unmittelbar ist. Ich will Politik nah am Menschen für die Menschen machen. Diese Linie verfolge ich mit großer Leidenschaft bis heute als Digitalministerin. Ich möchte Digitalpolitik machen, die den Menschen in diesem Land eine unmittelbare Verbesserung zum Status quo bringt. Und ja, es ist immer noch der beste Job der Welt, wenn auch mit anderen Themen.
Wir erleben den Fluch des Superlativs. Riskieren wir es noch einmal: Digital betrachtet – wo ist Bayern am besten?
Wir haben in Bayern die modernsten Behörden Deutschlands. Das zeigt ganz offiziell das Digital-Ranking des Bundesinnenministeriums. Nirgendwo können die Menschen so viele Behörden-Services digital aufrufen wie in Bayern. Und nirgendwo wird so viel in Zukunftstechnologien investiert wie bei uns. Wir unterstützen allein den Forschungsbereich im Rahmen unserer Hightech Agenda mit insgesamt 3,5 Milliarden Euro und bauen allein im Bereich KI 100 neue Lehrstühle auf. Damit setzen wir wichtige Impulse, um etwa ein europaweit einzigartiges Ökosystem für Künstliche Intelligenz in Bayern zu etablieren.
Mit dem Munich Quantum Valley hat Bayern seine eigene Quantencomputing-Initiative geschaffen. Was versprechen Sie sich davon?
Damit hat Bayern ein europaweit einmaliges Netzwerk aus Politik, Wirtschaft und renommierten Wissenschaftspartnern wie der TU München, der Fraunhofer- und der Max-Planck-Gesellschaft geschaffen. Wir müssen bei dieser Schlüsseltechnologie ganz vorne dabeibleiben. Hier werden gerade technisch die Voraussetzungen geschaffen für ganz viele Bereiche, vom Finanzsektor über Sicherheits- und Verteidigungslösungen bis zum Energiemanagement. Deshalb ist es so wichtig, dass wir den Fortschritt der Quantentechnologie selbst mitgestalten.
Das ist die Zukunft. Die Gegenwart sieht ganz anders aus. In einem EU-Ranking von 2021 steht Deutschland in Sachen Digitalisierung auf dem vorletzten Platz. Was können Sie besser als Volker Wissing, der Bundesminister für Digitales und Verkehr?
Ich kann in Berlin niemanden erkennen, der sich um Digitales kümmert. Herr Wissing ist zuständig für Mobilfunk- und Breitbandausbau, Frau Faeser macht Digitale Verwaltung, und bei Herrn Habeck liegen Innovation und Start-ups. Es herrscht ein Wirrwarr von Kompetenzen, und die Zuständigkeiten sind völlig zerfasert. Kein Wunder, dass da nichts vorangeht. Anders bei uns im bayerischen Digitalministerium. Wir treiben über alle Ressorts hinweg die Digitalisierung für die Staatsregierung voran, bei uns laufen die Fäden der Digitalpolitik zusammen. Deshalb hätte ich mir auch auf Bundesebene ein eigenständiges Digitalministerium gewünscht. Wir müssen bei der Digitalisierung deutlich an Geschwindigkeit gewinnen! Wir stehen im harten internationalen Wettbewerb mit China und den USA. Wir brauchen in Deutschland eine klare Strategie und mehr Investitionen in die Digitalisierung.
Im D16-Digitalministertreffen haben Sie gerade den Vorsitz bis zum Sommer übernommen. Wie bringen Sie die Kollegen auf Trab?
Bei D16 kämpfen wir alle mit großer Energie für ein gemeinsames Ziel: Deutschland muss digital spitze werden. Ein moderner Staat ist ein serviceorientierter Staat. Wir wollen dafür sorgen, dass die Bürgerinnen und Bürger, Unternehmen und Organisationen über zukunftsfähige Angebote verfügen und diese sicher nutzen können.
Vor einem Jahr im Sommer hat es Bayern zu Deutschlands erstem »Digital-Gesetz« gebracht. Hat es sich gelohnt?
Mit dem Digitalgesetz haben wir deutschlandweit die erste und im europäischen Vergleich eine besonders fortschrittliche Rechtsgrundlage gelegt. Es schafft erstmals juristische Rahmenbedingungen, damit alle Menschen von den Vorteilen der Digitalisierung profitieren. Es ist die Grundlage für den modernen Digitalstaat.
Weil wir schon bei Gesetzen sind: Deutschlandweit wirkt die Bilanz dürftig. Nach dem Online-Zugangsgesetz sollten bis Ende 2022 alle Verwaltungsleistungen digital für Bürgerinnen und Bürger verfügbar sein. Der Nationale Normenkontrollrat, das unabhängige Beratergremium der Bundesregierung, zählt jetzt durch, dass von 575 Behördenleistungen erst 33 digitalisiert sind. Selbst das Bundesinnenministerium kommt nur auf gut 100. Warum ist Digitalisierung in Amtsstuben eigentlich so schwer?
Wir für uns in Bayern haben im Rahmen des Möglichen unsere Hausaufgaben gemacht und über 98 Prozent der staatlichen Leistungen abgeschlossen. Wie schon erwähnt, liegen wir im Bund inzwischen an der Spitze. Aber insgesamt sind wir noch lange nicht fertig. Viele Leistungen für die Bürgerinnen und Bürger haben ja nicht die Länder oder der Bund, sondern vor allem die Kommunen in eigener Verantwortung zu erbringen. Hier haben wir erfolgreich Anreize gesetzt: Immer mehr Gemeinden nehmen an unserem Programm »Digitales Rathaus Bayern« teil, mit dem wir finanziell unterstützen. Wir stellen als Freistaat zentrale Online- Dienste über den sogenannten BayernStore zur Verfügung. Diese Online-Dienste können die Kommunen einfach kostenlos abonnieren und den Menschen zur Verfügung stellen. Und wir motivieren unsere Kommunen noch durch die Auszeichnung zum »Digitalen Amt«.
Sie gehen es ja auch von der anderen Seite her an. In 30 bayerischen Städten und Gemeinden sollen Digital-Beratungsstellen eingerichtet werden. Die Bewerbungsfrist endet Mitte März. Wie groß ist das Interesse?
Wir bekommen sehr viele Rückmeldungen! Das zeigt mir: Die Beratungstheken kommen an und schaffen einen echten Mehrwert, insbesondere für die noch nicht so digital affinen Menschen. Als Digitalministerin ist es mein Ziel, dass alle Menschen vom digitalen Fortschritt profitieren – unabhängig von Alter, Geschlecht, Einkommen oder Herkunft.
Wir sehen Sie immer wieder als Vorleserin in Schulen. Ist das für eine Digitalministerin nicht irgendwie gestrig?
Nein, ganz und gar nicht! Lesen und Textverständnis sind Grundvoraussetzungen für einen souveränen Umgang mit der digitalen Welt. Gerade das aktuelle Beispiel der KI-Software ChatGPT zeigt, dass wir noch viel kritischer auf digital vermittelte Inhalte schauen sollten. Damit müssen wir bereits bei den Kindern anfangen. Vorlesen ist dabei das beste Training für die Kleinen.
»Der kleine König« war eines Ihrer Vorlesebücher. Ich bin da nicht so auf dem Laufenden: Geht es um Markus Söder?
Das muss schon länger her sein. Zuletzt las ich »Die kleine Hexe«. Und nein, da ging es nicht um mich.
Noch einmal auf die Schulbank: Gerade noch haben wir zu Pandemiezeiten mehr Digitalisierung in den Schulen gefordert. Jetzt diskutieren wir, ob ChatGPT, wieder einmal, den Untergang des Abendlandes bedeutet. Welche Art von Bildung ist die Bildung für die Zukunft?
Ich halte nichts davon, gleich mit Verboten und Horrorszenarien zu kommen, wenn es um Innovationen geht. Das Angebot wird nicht verschwinden, wenn wir es aus den Klassenzimmern verbannen. Wir müssen lernen, sinnvoll damit umzugehen. Aber auch unser Bildungssystem muss sich permanent weiterentwickeln. Möglicherweise werden mündliche Prüfungen künftig eine deutlich wichtigere Rolle einnehmen als Hausarbeiten, weil KI da nicht beim Schummeln helfen kann.
Im Kollegenkreis, wir nennen keine Namen, lassen sich Schulkinder längst ihre Hausarbeiten von Künstlicher Intelligenz schreiben. Sie sind ja nicht nur Digitalministerin, Sie sind auch Mutter zweier Kinder: Wie gefährlich ist so eine Entwicklung wirklich?
Wir brauchen hier künftig andere Bewertungskriterien in den Schulen. Wenn eine KI eine Prüfung besteht, dann müssen wir vielleicht die Prüfungsvorgaben ändern. Es sollte künftig aus meiner Sicht in der Schule noch mehr darum gehen, Sachzusammenhänge auf den Punkt zu bringen und Informationen kritisch zu hinterfragen, statt Inhalte wiederzugeben oder über Themen zu referieren. Entscheidend ist, dass wir unsere Kinder auf den künftigen Umgang mit solchen Technologien vorbereiten. Der passende Umgang mit ChatGPT und Co. könnte in der Schule künftig so normal sein wie das ABC.
Sie arbeiten an einer eigenen KI-Strategie. Wohin will sich Bayern entwickeln?
Wir müssen Zukunftstechnologien wie KI nicht nur verstehen, sondern auch gestalten. Deswegen war es richtig, mit der bayerischen Hightech Agenda 3,5 Milliarden Euro in Forschung und Universitäten zu investieren, 100 neue KI-Lehrstühle aufzubauen und den Transfer von KI in die Wirtschaft aktiv zu gestalten. Denn wir können uns nicht wegducken. Sonst zieht der Rest der Welt an uns vorbei, während wir in Deutschland nur Bedenken haben. Bayern ist dabei auf dem besten Weg, zum modernsten Digitalstaat zu werden. Und auch im Bereich der Künstlichen Intelligenz setzen wir uns mit unserer KI-Strategie an die Spitze.
Sie saßen kürzlich in einer TV-Talkshow Seite an Seite mit dem Roboter Pepper. Der digitale Kollege hat auf die Frage, ob Künstliche Intelligenz zu einer Revolution führen werde, schlicht geantwortet: »Ja!«. Worin bestehen die großen Chancen?
Die Einsatzmöglichkeiten von KI sind zahlreich, nehmen Sie zum Beispiel den bayerischen Mittelstand. Wir helfen hier konkret dabei, dass Unternehmen im Freistaat ihre Geschäftsprozesse effektiver und kostengünstiger gestalten können. Im Rahmen unseres Programms »KI-Transfer Plus« arbeiten wir beispielsweise mit einem Landmaschinenhersteller zusammen, dessen Maschinen künftig dank KI punktgenau erkennen, ob es sich auf dem Acker um die angebaute Pflanze oder um Unkraut handelt. So lassen sich Pestizide sparsamer und zielgenauer einsetzen.
KI löst Ängste aus: Unbestimmte Ängste, aber auch sehr bestimmte Sorgen, dass Arbeitsplätze überflüssig werden könnten. Welche Jobs sehen Sie in Gefahr?
In der Debatte werden schnell Horrorszenarien entwickelt, die mit der Realität nichts zu tun haben. Wir haben es doch selbst in der Hand, wie wir die großen Chancen neuer Technologien für uns nutzen. Der Einsatz von Robotern in der Pflege ist zum Beispiel sinnvoll. Das heißt aber nicht, dass jetzt nur noch Roboter in Seniorenheimen eingesetzt werden. Das will niemand! Wenn wir uns bei einigen Aufgaben aber von Robotern unterstützen lassen, dann haben die Pflegekräfte, die wir ja auch händeringend suchen, mehr Zeit für das eigentlich Menschliche.
Ganz zum Schluss die Frage zum Abschalten: Kann man es sich als Digitalministerin noch leisten, auch mal offline zu sein?
Natürlich! Die schönsten Dinge auf dieser Welt sind analog. Das Zusammensein mit der Familie oder ein persönliches Gespräch mit Freunden kann keine App ersetzen.