Interview mit Nancy Faeser

Bundesinnenministerin

Fraunhofer-Magazin 2.2024

Nancy Faeser, Bundesinnenministerin
© Peter Jülich/laif
Nancy Faeser, Bundesinnenministerin

»Wir nehmen die Lage ernst!«

 

Deutschland ist Ziel russischer Versuche, Unsicherheit zu
verbreiten. Das bestätigt die Bundesinnenministerin.
Aktuell baut ihr Ministerium eine Einheit auf, um
Desinformation früher zu erkennen. Nancy Faeser:
»Wir werden uns keinesfalls einschüchtern lassen!«

 

Frau Faeser, Deutschland steht in einem Wahljahr. Sind wir auf Cyberattacken hinreichend vorbereitet?

Cyberattacken lassen sich zwar nie ganz verhindern, aber unsere Behörden sind vorbereitet und tun alles, um unsere Wahlen vor Cyberangriffen zu schützen. Die Bundeswahlleiterin und alle anderen Wahlorga­ne auf Landes- und Kreisebene treffen Maßnahmen, um sichere Wahlen zu gewährleisten. Das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik unterstützt sie dabei, berät und informiert. Der beste Schutz sind aber immer noch unsere Stimmzettel aus Papier.

Bei der Vorstellung des Bundeslageberichts Cybercrime haben Sie darauf hingewiesen, dass seit dem Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine eine Zunahme politisch motivierter Hacker-Aktivitäten registriert wird. Das ist die Quantität. Was spricht für eine neue Qualität?

Nehmen Sie etwa sogenannte DDoS-Angriffe. Damit sollen Internetdienste durch enorm viele Aufrufe ge­zielt überfordert werden. Diese Angriffe nehmen an Intensität zu und können in immer kürzerer Zeit kri­tisch werden. Täter werden dabei immer professionel­ler. Auch hier sehen unsere Sicherheitsbehörden eine Verschärfung seit Beginn des russischen Angriffs­kriegs auf die Ukraine. Pro-russische sogenannte Hacktivisten greifen zum Beispiel ganz gezielt Inter­netdienste von Behörden an. Der Schaden ist da zwar meistens nicht besonders groß. Aber wir gehen davon aus, dass eine klare Strategie dahintersteckt: die Ge­sellschaft zu verunsichern und das Vertrauen in de­mokratische Institutionen und in die Fähigkeiten des Staates, die Bevölkerung zu schützen, zu beschädigen.

Putins Hacker haben schon im Jahr 2015 den Bundestag angegriffen. Was haben die Sicher­heitsbehörden in diesen fast zehn Jahren getan, um den Schutz zu verbessern?

Wichtig ist vor allem, dass wir die Sicherheitsbe­hörden gestärkt haben – sowohl personell als auch was ihre Kompetenzen angeht. Wir sind heute zum Beispiel deutlich weiter in der Erkennung und Ana­lyse von Cyberangriffen. Entscheidend ist auch, dass sich unsere Behörden noch enger austauschen, auch international. Und wir sensibilisieren die Öffentlich­keit und potenziell Betroffene noch intensiver als frü­her – das machen vor allem das Bundesamt für Ver­fassungsschutz und unsere Cybersicherheitsbehörde BSI. Das reicht aber noch nicht. Ich setze mich dafür ein, dass wir weitere wichtige Schritte gehen: Das BSI muss leichter und schneller handeln können. Und zwar nicht nur, wenn Behörden angegriffen werden, sondern auch, wenn etwa mittelständische Unter­nehmen oder Universitäten betroffen sind. Bisher ist das viel zu kompliziert. Dafür wollen wir die Zu­sammenarbeit zwischen Bund und Ländern weiter verbessern und das BSI vergleichbar mit dem Bun­deskriminalamt zu einer Zentralstelle ausbauen.

Bundeskanzler Olaf Scholz versichert immer wieder neu, dass Deutschland nicht Kriegspartei werden dürfe. Ist Deutschland aber aus rus­sischer Sicht nicht längst ein Kriegsziel geworden?

Als Bundesinnenministerin beobachte ich ebenso wie der Bundeskanzler mit Sorge, welche Auswir­kungen die russische Aggression gegen die Ukraine auch auf die Sicherheitslage in unserem Land hat. Hier spielt der Cyberraum natürlich eine bedeu­tende Rolle. Ja, Deutschland ist Ziel von russischen Versuchen, Einfluss zu nehmen und Unsicherheit zu verbreiten. Entscheidend ist doch: Wir nehmen die Lage ernst und wappnen uns gegen diese Be­drohungen. Und ich sage es auch hier noch mal ganz deutlich: Wir werden uns vom russischen Regime keinesfalls einschüchtern lassen. Wir wer­den weiterhin alles tun, um unsere Demokratie zu schützen– und wir werden auch weiter massiv die Ukraine unterstützen.

Deutschland hat über Stahlhelme gestrit­ten, über Panzer und Raketen. Aber müssen wir uns auch an ein neues Bild von Krieg gewöhnen?

Was Krieg bedeutet, sehen wir an den furchtbaren russischen Angriffen auf die ukrainische Zivil­bevölkerung. Daher sollten wir vorsichtig sein mit solchen Begriffen. Klar ist aber: Wir müssen uns mit veränderten Realitäten auseinandersetzen. Da­zu gehört zum Beispiel, dass wir neben der militä­rischen auch die zivile Verteidigung stärken müs­sen, zum Beispiel durch ein starkes Technisches Hilfswerk, das in Krisen- und Katastrophenfällen hilft. Und natürlich müssen wir gut gegen hybride Bedrohungen wie Cyberattacken, Desinformation und Spionage gewappnet sein. In diesen Bereichen haben wir unsere Sicherheitsbehörden massiv ver­stärkt.

Außenministerin Annalena Baerbock hat zusammen mit ihren Kollegen aus Frank­reich und Polen den gemeinsamen Kampf ge­gen russische Desinformation und Cyberatta­cken beschworen. Wo sehen Sie Fortschritte?

In den letzten Jahren haben wir in der EU große und ganz konkrete Fortschritte im Kampf gegen Desinformation und andere Arten der illegiti­men Einflussnahme von außen gemacht. Wir arbeiten immer enger zusammen und helfen uns gegenseitig – zum Beispiel durch Toolboxen oder Expertenteams. Das ist richtig und wichtig. Wir sensibilisieren die Öffentlichkeit heute viel stärker für hybride Bedrohungen. Wir kommu­nizieren noch offener und transparenter zur Bedrohungslage und zu den Schutzmaßnah­men. Auf Bundesebene bauen wir momentan eine Einheit in meinem Ministerium auf, die Desinformation noch früher erkennen soll. Wir müssen die Lügen entlarven, bevor sie als große Wellen das Netz fluten.

Brauchen wir auch eine »Zeitenwende« für die innere Sicherheit unserer Demokratie und Wirtschaft?

Die erleben wir längst. Äußere und innere Sicherheit gehören untrennbar zusammen.

Kann der Rückzug ins Nationale eine Lösung sein?

Nein. Dafür sind die Herausforderungen zu groß. Und ich warne vor denen, die behaupten, dass sich dadurch irgendwelche Probleme in der inneren Sicherheit lösen lassen.

Sie wollen einen Rechtsrahmen für den Einsatz von KI schaffen. Was soll er beinhalten? Und inwieweit unterscheidet er sich vom Artificial Intelligence Act der EU?

Wir haben einen umfassenden Rechtsrahmen für den Einsatz von KI. Auf europäischer Ebene ist nun der AI Act verabschiedet worden. Darü­ber hinaus gibt es die Datenschutzgesetze und andere Regelungen. Wir haben hier also keinen rechtsfreien Raum. Uns geht es darum, die Chancen von KI zu nutzen – und zugleich Risi­ken zu minimieren, etwa durch Deepfakes, die demokratische Debatten manipulieren können. Fest steht: Wir wollen den KI-Einsatz und den KI-Standort in Deutschland fördern.

Mit KI erstellte Fake News werden vor allem in sozialen Netzwerken verbreitet. Wie könnten die Betreiber dieser Angebote dagegen vorgehen?

Mit dem Digital Services Act haben wir in der EU einen wichtigen Schritt nach vorn gemacht. Der Verbreitung von strafbaren Hasspostings und von Desinformation wirken wir damit ent­gegen. Eine besondere Verantwortung kommt den Betreibern von sehr großen Plattformen zu – und das ist richtig. Sie müssen jetzt liefern. Zum Beispiel durch aktive Maßnahmen, um ge­fälschte Konten zu identifizieren und zu schlie­ßen und um automatisierte Systeme zu be­kämpfen, die solche Inhalte gezielt verstärken. Wichtig ist auch, dass Plattformbetreiber dafür sorgen, dass KI-generierte Inhalte gekennzeich­net werden.

Presseberichten zufolge ist den Mit­arbeitern Ihres Ministeriums die Verwendung von KI-Programmen untersagt. Warum gilt dieses Verbot – und sendet es nicht ein falsches Signal?

KI hat auch für die Verwaltung großes Poten­zial. Daran besteht kein Zweifel. Ein generelles Verbot gibt es deshalb nicht. Aber natürlich ha­ben wir gerade im Sicherheitsbereich besondere Anforderungen an Geheimschutz und Daten­schutz. Mir geht es um einen verantwortungs­vollen Einsatz von KI. Nehmen Sie etwa Dienste, bei denen Daten unkontrolliert und intranspa­rent irgendwohin verschwinden. Die nutzen wir natürlich nicht.

Wo sehen Sie in Ihrem Zuständigkeits­bereich Möglichkeiten für den Einsatz von KI?

Also zunächst einmal nutzen unsere Behörden »klassische« KI-Anwendungen schon seit meh­reren Jahren: in der Bürger-Kommunikation mit unseren Bundesbots oder zur Unterstüt­zung bei der Datenanalyse. Gefühlt kommen aber auch fast täglich neue Möglichkeiten dazu. Wir bauen im BMI momentan das Be­ratungszentrum für Künstliche Intelligenz auf. Damit schaffen wir eine zentrale Anlauf- und Koordinierungsstelle für KI-Vorhaben in der Bundesverwaltung. Wir fördern gemeinsa­me Entwicklungen, zum Beispiel durch den »Marktplatz der KI-Möglichkeiten«, den wir gerade einrichten. Was verstärkt auch auf die öffentliche Verwaltung zukommt, ist der Ein­satz von Sprachmodellen, beispielsweise zur Textanalyse und Textbearbeitung. Bei alldem werden wir größtmögliche Transparenz zeigen. Ich finde es wichtig, dass Bürgerinnen und Bürger wissen, wo KI eingesetzt wird, und dass sie der Verwaltung auch in dieser Hinsicht ver­trauen können.

Wie kann Forschung beitragen, Sicherheit zu schaffen?

Wir haben jetzt viel über KI gesprochen. Gera­de in diesem Bereich leistet Forschung einen sehr wichtigen Beitrag, um die Sicherheit von KI-Anwendungen zu erhöhen, aber auch, um KI-Anwendungen zur Erhöhung der Cybersi­cherheit zu entwickeln. Ich möchte gerne noch ein anderes Beispiel aufgreifen: Wir stehen bei den Grundbausteinen der Cybersicherheit, den Verfahren zur Verschlüsselung und zur Authen­tisierung, gerade vor einem großen Umbruch. Quantencomputer drohen diese in nicht allzu ferner Zukunft knacken zu können. Daher müs­sen wir jetzt schnell beginnen, neue, gegen die­se Angriffe resistente Verfahren in den Einsatz zu bringen. Mit der Entwicklung solcher quan­tensicherer Verfahren hat die Forschung schon vor Jahrzehnten begonnen, als Quantencompu­ter nur ein theoretisches Konzept waren. Dank dieser Resultate haben wir heute einsatzbereite quantensichere Verschlüsselungs- und Authen­tisierungsmechanismen. Die Herausforderung ist nun, diese in die Anwendung zu bekommen.

Als Bundesinnenministerin sind -ismen Ihr Kerngeschäft: Rechts- und Linksextremis­mus, Antisemitismus, Islamismus, Rassismus, Sexismus – wo sehen Sie die größte Gefahr?

Die größte extremistische Gefahr für unsere De­mokratie geht vom Rechtsextremismus aus. Zu­gleich sind wir äußerst wachsam gegenüber der Bedrohung durch islamistischen Terror, gegen­über Linksextremismus und gegenüber den hyb­riden äußeren Bedrohungen, über die wir schon sprachen. Wir müssen in alle Richtungen wach­sam sein. Seit dem furchtbaren Terrorangriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 sehen wir einen dramatischen Anstieg antisemitischer Straftaten. Es gibt immer häufiger Gewalt gegen politisch Engagierte aller Parteien. Erst jüngst hat der furchtbare Messerangriff in Mannheim durch einen mutmaßlichen Islamisten, bei dem ein junger Polizist getötet wurde, unser ganzes Land erschüttert. Unsere Sicherheitsbehörden treten allen diesen Bedrohungen entgegen.

Mit Ihnen verbinden sich zwei Premie­ren: Sie sind die erste SPD-Bundesinnenminis­terin seit Otto Schily, Sie sind die erste Frau als Bundesinnenministerin. Sehen Sie andere Schwerpunkte für Ihre Arbeit?

Jeder hat seine Art, ein solches Amt auszufüh­ren. Und jede Zeit hat ihre Herausforderungen. Für mich ist Sicherheit auch eine Frage der sozi­alen Gerechtigkeit. Unser Rechtsstaat muss alle Menschen schützen, unabhängig davon, wo ihre Familien einmal herkamen, wie viel Geld sie ha­ben, woran sie glauben und wen sie lieben. Ich versuche in meinem Amt auch die Perspektive derjenigen zu sehen, die von Extremismus oder Kriminalität bedroht sind. Da hat mich der enge Kontakt zu Familien der Opfer der entsetzlichen rassistischen Morde in Hanau sehr geprägt, ebenso wie meine Arbeit zur Aufarbeitung des Terrors des »NSU«. Das sind Erfahrungen, die sich mir so tief eingeprägt haben, dass sie sich auch auf mein heutiges Handeln auswirken.

Interview: Josef Oskar Seitz