Auf Wissen bauen

Webspecial Fraunhofer-Magazin 4.2024

Pilze in der Hauswand statt Zement und Ziegel? Innovative Wege zu mehr Umweltverträglichkeit am Bau.

Es gibt da die Geschichte von den drei kleinen Schweinchen, die sich jedes ein Häuschen bauen wollten. Das erste Schweinchen war etwas faul und baute sein Haus aus Stroh, das zweite war etwas fleißiger und verwendete Holz. Das dritte Schweinchen jedoch machte sich die Mühe, Stein auf Stein zu setzen. Nahezu jeder kennt dieses englische Volksmärchen aus dem 19. Jahrhundert und weiß, dass der böse Wolf schließlich das Stroh- und Holzhäuschen wegblies: »Then I`ll huff and I`ll puff and I`ll blow your house down«, rief er dabei. Nur beim Steinhaus hatte der Wolf keine Chance und landete im brennenden Kamin. Von da an lebten die drei Schweinchen glücklich und sicher in Haus Nummer 3.
Was diese Geschichte hier zu suchen hat? Klar, man lernt, dass sich ein wenig Mühe beim Bauen lohnt – und dass Stein eben ein sehr verlässliches Baumaterial ist. Das wissen die Deutschen seit Generationen: Von den mehr als 19 Millionen Wohngebäuden in Deutschland besteht der überwiegende Teil aus Naturstein, Ziegel oder Beton. Die Tradition reicht zurück bis in die Antike, boten die festen Mauern doch Schutz vor Stürmen, Feuer und Eindringlingen. Auch heute setzen die Deutschen auf Beständigkeit und Langlebigkeit. Stein ist außerdem natürlich wärmedämmend und reduziert so den Energieverbrauch.
Doch Stein hat auch seine Schattenseiten. Sowohl Naturstein als auch Zement bergen manchmal umwelt- und zum Teil sogar gesundheitsschädliche Stoffe. So können wasserlösliche Chromate im Zement Allergien auslösen.

Zement ist außerdem stark alkalisch, was Haut und Schleimhäute reizen kann. Manche Natursteine wie Granit enthalten radioaktive Stoffe wie Uran, Thorium und Radium, die bei hoher Aktivitätskonzentration geringe Mengen an Radon freisetzen – ein radioaktives Gas, das als gesundheitsschädlich gilt und das Lungenkrebsrisiko erhöht. Naturstein wird zudem oft mit Chemikalien behandelt, etwa zum Polieren oder zum Schutz vor Witterungseinflüssen. Diese Versiegelungen und Oberflächenbehandlungen setzen mitunter flüchtige organische Verbindungen frei, die in geschlossenen Räumen die Luftqualität belasten können.

 

Klimaneutrales Bauen – eine Mammutaufgabe

Die Bundesregierung hat im neuen Klimaschutzgesetz beschlossen, den gesamten Gebäudebestand in Deutschland bis 2045 klimaneutral zu machen – ein Vorhaben von gewaltigem Ausmaß, aber auch mit enormen Chancen für die Zukunftsfähigkeit der deutschen Industrie. Bisher verursachen Bau und Nutzung von Gebäuden rund 30 Prozent der CO₂-Emissionen. Die Baubranche steht vor der Herausforderung, den Prozess vom Materialeinsatz bis zur Entsorgung zu überdenken und umzustellen.


Die Erfüllung der Klimaziele erfordert also eine fundamentale Veränderung, die so komplex ist wie das Bauwesen selbst. Auf dem Weg zur Klimaneutralität sind nachhaltige Baustoffe und intelligente Recyclingkonzepte zwei Säulen, die die Branche revolutionieren könnten. Zahlreiche Fraunhofer-Institute forschen an diesen Schlüsseltechnologien, die im Zusammenspiel eine klimaneutrale Bauwelt ermöglichen. Die Fraunhofer-Institute bieten Lösungen für die gesamte Wertschöpfungskette des Bauens – vom Rohstoff bis zum Endprodukt, vom Neubau bis zur Sanierung. »Konventionelle Bauprodukte brauchen sehr viel Energie im Herstellungsprozess und werden oft aus Erdöl hergestellt, das aber endlich ist«, sagt Dr. Henrik-Alexander Christ vom Fraunhofer-Institut für Holzforschung, Wilhelm-Klauditz-Institut, WKI. »Auch die Entsorgung oder das Recycling dieser Produkte ist schwierig. Oft bleibt nur die Verbrennung als letzte Station – doch auch hier werden große Mengen an CO₂ freigesetzt.« Experimentelle nachhaltige Baumaterialien stellen eine vielversprechende Antwort auf die ökologischen Herausforderungen der Baubranche dar. Diese innovativen Materialien zielen darauf ab, CO₂-Emissionen zu reduzieren, Ressourcen zu schonen und Abfall zu minimieren.

Dr. Henrik-Alexander Christ (l.) und Dr. Steffen Sydow
© Fraunhofer / Marko Priske
Kleben mit Pilzmyzel: Dr. Henrik-Alexander Christ (l.) und Dr. Steffen Sydow forschen am Fraunhofer WKI zu neuartigen Bau- und Dämmstoffen.

Die Superkräfte der Pilze

Bei Pilzen in den Wänden denken die meisten bisher nur an unansehnliche und gesundheitsschädliche Schimmelflecken. Christ und sein Kollege Dr. Steffen Sydow wollen das ändern. Sie forschen an Pilzmyzel, das sie als biobasierten Klebstoff für heißgepresste Bau- und Dämmstoffe nutzen wollen. Pilzmyzel besteht aus feinen langgestreckten Zellen, die ein komplexes dreidimensionales Netzwerk ausbilden. Dieses durchdringt die verwendeten Substrate – zum Beispiel Hanfschäben, Holzspäne oder andere Pflanzenfasern – und verwandelt sie in Verbundmaterialien mit guten technischen Eigenschaften. »Das Myzel ist sozusagen der biologisch gewachsene Klebstoff und damit eine Alternative zu herkömmlichen erdölbasierten Produkten«, sagt Henrik-Alexander Christ. Um die natürlichen Bindungskräfte der Pilze zu intensivieren, wird das Myzel in Heißpressen inaktiviert sowie das Material verstärkt und getrocknet.

Lina Vieres, Fraunhofer UMSICHT
© Fraunhofer / Marko Priske
Superkräfte der Pilze: Lina Vieres druckt am Fraunhofer UMSICHT Schallabsorber, die durch Pilze leichter und umweltfreundlicher werden.

Aber auch darüber hinaus haben Pilze wahre Superkräfte, wenn es ums Bauen geht: Ihr Myzel ist oft leichter als viele traditionelle Baustoffe, es ist extrem anpassungsfähig und kann flexibel in Form gebracht werden. Außerdem zeichnet es sich durch eine hohe Druckfestigkeit aus und wirkt thermisch und akustisch isolierend.

In Versuchen war es ähnlich wärmeleitend wie eine Holzfaserdämmplatte. »Pilze haben beeindruckende Fähigkeiten, die man sich biotechnologisch zunutze machen kann«, ist Lina Vieres überzeugt, wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Abteilung Produktentwicklung am Fraunhofer-Institut für Umwelt-, Sicherheits- und Energietechnik UMSICHT. Vor fünf Jahren begann sie zusammen mit Biodesignerin Julia Krayer an Pilzwerkstoffen zu forschen – schließlich bilden die Lebewesen fantastische Formen, die extrem stabil werden können.

 

Im Projekt FungiFacturing impften sie in Kooperation mit einem Team des Fraunhofer-Instituts für Bauphysik IBP eine Paste aus Reststoffen, die von einem Pilz durchwachsen wird. In ihrem Pilzlabor verarbeiteten die Forscherinnen und Forscher die Masse mit einem Keramik-3D-Drucker zu Schallabsorbern. Sägespäne, Treber aus der Bierproduktion oder Stroh – also pflanzliche Reststoffe – sind der Nährboden für die Pilzzucht. In einem Inkubationsschrank wächst dann das Pilzmyzel und härtet das gedruckte Objekt, bis es steinhart ist. »Nicht alle Pilze eignen sich dazu – es sind vor allem holzabbauende Pilze wie der Lackporling und der Zunderschwamm.«
Um sich dieses Wissen anzueignen, beschäftigte sich Lina Vieres intensiv mit den Schirmlingen, nächstes Jahr macht sie eine Weiterbildung zur Fachberaterin für Mykologie. »Mein Freundeskreis wundert sich nicht mehr, wenn ich ins Gebüsch krieche und nach spannenden Pilzen suche«, sagt die Forscherin. Sie ist sich sicher: »Die Superkräfte der Pilze kann man viel weitreichender einsetzen als bisher.«

Die Beton-Verwandlung

Trotz aller Vorzüge: Einen wichtigen Baustoff kann Pilzmyzel nicht vollständig ersetzen – Beton. Seine hohe Stabilität und Druckfestigkeit, die für tragende Strukturen notwendig sind, aber auch seine Langlebigkeit und Feuerfestigkeit sind von anderen Materialien bisher unerreicht. Das Problem: Beton ist nicht besonders umweltverträglich – hauptsächlich aufgrund der CO₂-intensiven Zementproduktion, die für etwa acht Prozent der weltweiten Treibhausgasemissionen verantwortlich ist.

»Kalkstein wird bei hohen Temperaturen gebrannt«, sagt Mineraloge Dr. Sebastian Dittrich, Gruppenleiter Aufbereitung und Verwertung am Fraunhofer IBP. »Das benötigt viel Energie, verbraucht fossile Brennstoffe wie Kohle oder Erdgas und setzt chemisch gebundenes CO₂ frei.« Außerdem verschlingt die Betonproduktion große Mengen an Sand, Kies und Kalkstein, deren Abbau natürliche Ökosysteme belastet und die Biodiversität gefährdet: Bäume werden gefällt, Flüsse verschmutzt, Lebensräume von Tieren zerstört.

Dr. Sebastian Dittrich, Fraunhofer IBP
© Fraunhofer / Marko Priske
Wertvolle Asche: Dr. Sebastian Dittrich und sein Team am Fraunhofer IBP nutzen Asche und Schlacke, um Beton weniger ressourcenintensiv zu machen.

Daher arbeiten verschiedene Fraunhofer-Institute an nachhaltigeren Varianten, indem sie die Inhaltsstoffe im Beton ersetzen. Auf Bakterien liegt die Hoffnung der Forschenden an den Fraunhofer-Instituten für Keramische Technologien und Systeme IKTS und für Elektronenstrahl- und Plasmatechnik FEP. Sie arbeiten an einem biogenen Baumaterial als Beton-Ersatz, das auf Cyanobakterien basiert. Die Kleinstlebewesen vermehren sich in einer Nährlösung und nutzen Fotosynthese, um Zusatzstoffe wie Sand oder Basalt in feste Strukturen zu binden, die an Gestein erinnern. Dabei entsteht im Gegensatz zur herkömmlichen Betonherstellung kein klimaschädliches CO₂ – stattdessen wird das Klimagas sogar im Material gebunden.


Christina Haxter vom Fraunhofer WKI setzt indes auf Gewebtes: Naturfasergarn aus Flachs – einem in Deutschland wohlbekannten Material – wird im Fraunhofer WKI an einem riesigen Webstuhl verwebt und in Beton als Verstärkung genutzt. Denkbar sind Bodenplatten in Gebäuden oder der Einsatz im Straßenbau. »Die herkömmliche Stahlbewehrung im Beton kann korrodieren, Flachs nicht«, nennt Haxter nur einen Vorteil. Mehr noch: Die biobasierte Variante der Bewehrung ist leicht, stabil und belastbar, was sie zu einem idealen Baustoff für langlebige und gleichzeitig nachhaltige Bauprojekte macht.
An einer neuen Rezeptur für Beton arbeiten Dr. Sebastian Dittrich und sein Team am Fraunhofer IBP im Verbundprojekt BAUSEP. Dafür nutzen sie sekundäre Rohstoffe wie Asche aus Hausmüllverbrennungsanlagen und Schlacken aus Stahlwerken. Die besonderen Produkteigenschaften des Betons bleiben trotz veränderter Inhaltsstoffe erhalten.


Die Asche wird mittels Ultraschallwäsche gereinigt, um Anhaftungen zu lösen, Glas wird aussortiert. Die neuen Rezepturen ermöglichen es, den Anteil von Primärrohstoffen zu reduzieren. »Der entwickelte Ansatz kann dazu beitragen, den Ressourcenverbrauch in der Baubranche deutlich zu reduzieren«, sagt Dittrich. Noch steckt das Projekt in der Versuchsphase – 150 Quadratmeter Pflastersteine hat das Team bereits hergestellt. »Wir sind überzeugt, dass der neue Beton sowohl in den Straßenbau als auch in den Hoch- und Tiefbau übertragen werden kann.«


Kreislaufwirtschaft und Recycling – Nachhaltigkeit durch Wiederverwertung

Nicht nur industrielle Abfallstoffe, auch mineralische Bau- und Abbruchabfälle lassen sich im Neubau wiederverwerten. Jährlich fallen in Deutschland rund 220,6 Millionen Tonnen an – das ist ein Großteil des gesamten Abfallaufkommens des Landes. Um natürliche Ressourcen zu schonen und weniger Energie zu verbrauchen, ist Wiederverwendung wichtig. Zahlreiche Projekte an verschiedenen Fraunhofer-Instituten beschäftigen sich mit dem Recycling in der Baubranche. So werden am Fraunhofer IBP Baustoffe aus recycelten Baumaterialien wie Beton, Ziegeln oder Asphalt hergestellt. Diese Sekundärrohstoffe können anschließend im Hochbau wiederverwendet werden. Das reduziert den Abfall, mindert aber auch den Einsatz von Primärrohstoffen. So lässt sich der Lebenszyklus von Baustoffen verlängern. Im Projekt BauCycle wird ein Verfahren zur Sortierung von Bauschutt entwickelt, das ihn in wertvolle Recyclate und Sekundärrohstoffe für den Bau unterteilt – ein Weg in die zirkuläre Bauwirtschaft.

 Dr. Patrick Taschner von Fraunhofer Austria
© Fraunhofer / Marko Priske
Styropor wegwerfen? Von wegen! Dr. Patrick Taschner von Fraunhofer Austria sammelt, reinigt und recycelt alten Styropor zu neuen Dämmplatten.

Auch Styropor gehört zu den Bau- und Abbruchmaterialien, die massenweise anfallen und bisher meist einfach weggeworfen werden. Zur Dämmung wird es gerne und häufig genutzt. Expandiertes Polystyrol (EPS), wie Styropor fachlich korrekt bezeichnet wird, besteht zu 98 Prozent aus Luft und ist daher extrem isolierend. Außerdem benötigt es wenig Energie bei Herstellung und Transport. »Ein wirklich spannendes Material«, sagt Dr. Patrick Taschner von Fraunhofer Austria, »doch nur 26 Prozent des Baumaterials und 56 Prozent des Styropors, das für Verpackungen verwendet wird, werden in Österreich recycelt.« Taschner hat deshalb zusammen mit einem Konsortium des Forschungsprojekts EPSolutely, bestehend aus 13 Partnern, ein Konzept entwickelt, bei dem österreichweit altes Styropor effizient gesammelt, aufbereitet und wiederverwertet wird. Rund 5000 Sammelsäcke wurden schon mit QR-Codes versehen und an Partnerfirmen verteilt. Über eine App melden Bauunternehmen ganz einfach, wenn die Säcke voll und abholbereit sind. »Wir können das Styropor dann zerkleinern, reinigen und wieder in neue Dämmplatten einarbeiten.« 80 Prozent weniger CO2 werden so ausgestoßen.

Wenn die Baubranche und der gesamte Baubestand bis zum Jahr 2045 klimaneutral sein sollen, muss auch bei Sanierungen umgedacht werden. »Die Prozesse sind oft langwierig und ressourcenintensiv«, erklärt Dr. Simon Schmidt, Abteilungsleiter Hygrothermik am Fraunhofer IBP. Das wollen Forschende aus sieben Fraunhofer-Instituten im Leitprojekt BAU-DNS ändern. Schmidt: »Die Sanierung könnte um etwa 10 bis 15 Prozent schneller vonstattengehen, die graue Energie der Materialströme durch biobasierte Materialien und andere Ansätze auf die Hälfte reduziert werden.« Mehr Tempo beim Sanieren wäre beispielsweise durch die systemische und funktionale Entwicklung nachhaltiger Sanierungsmodule möglich – ein Schwerpunkt von BAU-DNS. Die Module sollen industriell vorgefertigt und vor Ort zusammengebaut werden – so könnten Bauunternehmen auch dem Fachkräftemangel besser begegnen. Dr. Simon Schmidt weiß, wovon er spricht, denn er selbst kommt aus einer Handwerkerfamilie, hat Zimmerer gelernt. Als Bauingenieur fokussiert er sich nun auf die Bedürfnisse der Baufirmen, Nachhaltigkeit ist ihm besonders wichtig. »Nur so können wir die Baubranche in die Zukunft führen.«

Dr. Simon Schmidt, Fraunhofer IBP
© Fraunhofer / Marko Priske
Mehr Tempo beim Sanieren: Im Fraunhofer- Leitprojekt BAU-DNS entwickelt Dr. Simon Schmidt vom Fraunhofer IBP nachhaltige Sanierungs- und besonders einfach zu montierende Solarmodule.
Gunnar Grün

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Prof. Dr. Gunnar Grün

Vorsitzender der Fraunhofer-Allianz Bau

Fraunhofer-Institut für Bauphysik IBP
Fraunhoferstraße 10
83626  Valley

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Thomas Kirmayr

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Thomas Kirmayr

Leiter Geschäftsstelle Fraunhofer-Allianz Bau

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