Und das oft vergessene Land?
Doch je mehr Optionen, desto komplexer wird auch die Mobilität für die Passagiere. Dr. Karina Villela, Project Manager Digital Innovation Design am Fraunhofer-Institut für Experimentelles Software Engineering IESE in Kaiserslautern, hat sich dieses Problems angenommen und im Projekt Smart MaaS (Mobility as a Service) eine Mobilitäts-Plattform geschaffen, um genau dieses Problem zu lösen – zusammen mit den Partnern Fiware, Cleopa, DFKI und better mobility. Auf der B2B-Plattform können alle Anbieter von Mobilität, Informationsdiensten oder anderen Dienstleistungen ihr Angebot einstellen: Taxiunternehmer ebenso wie Shuttlebus-Betreiber, E-Bike-Verleiher, der öffentliche Nahverkehr oder Carsharing-Anbieter, Hotels und Tourismusinformationen. Das Ökosystem vereint so alle Akteure auf einem Marktplatz – Dienstleister, Informationsanbieter und Vermittler.
Projekt »Smart MaaS« (Smart Mobility as a Service)
All diese Informationen werden vom Mobility-Broker ausgewertet. Sucht nun ein Kunde nach der besten Route für einen bestimmte Fahrt, generiert der Broker sofort ein passendes Angebot, inklusive der passenden Verkehrsmittel und Umsteigemöglichkeiten. »Die Kunden können in ihrer Anfrage auch festlegen, ob ihr Trip besonders preisgünstig, besonders komfortabel oder besonders schnell sein soll. »Für die Passagiere entsteht so stressfreie Mobilität von Tür zu Tür«, sagt Villela. Sie sieht Smart MaaS als Chance für Start-ups oder kleine Unternehmen mit spezialisierten Services, die sich auf der Plattform präsentieren können.
Matthias Koch, Senior Requirements Engineer am Fraunhofer IESE in Kaiserslautern, konzentriert sich in seinem Projekt Kom MaaS auf die ländliche Region. Hier gibt es nicht zu viele Fahrmöglichkeiten, sondern eher zu wenige. Die Grundidee besteht darin, diese wenigen Möglichkeiten besser zugänglich zu machen und miteinander zu verbinden. So könnten Bürgerbusse durch die Ortschaften fahren und Menschen mobil machen, die kein eigenes Auto besitzen. Das Team um Matthias Koch hat gemeinsam mit Partnern die passende Web-Anwendung entwickelt. Wer eine Beförderungsmöglichkeit braucht, meldet sich zunächst telefonisch beim regionalen Bürgerbus-Dienst und teilt den Fahrtwunsch mit. Oder er nutzt eine Smartphone-App, um den Beförderungswunsch zu signalisieren. Die Anfrage wird durch das Planungsteam des Bürgerbusses über die Anwendung erfasst und eingeplant. Die Anbieter haben nun die Möglichkeit, individuelle Wege zu einzelnen Passagieren optimal zu einer Gesamtroute zu verbinden. Der Fahrer des Bürgerbusses wiederum sieht auf dem Display im Fahrzeug, wo Passagiere abzuholen oder hinzubringen sind. Wer mit dem Privatauto eine Fahrt in die nahe gelegene Stadt plant, wird in späteren Entwicklungsstufen über Kom MaaS eine Mitfahrgelegenheit anbieten können.
Projekt »KomMaaS« (Mobility as a Service für Kommunen)
Koch und sein Team haben die Web-Anwendung mit dem Fokus auf einfache und effiziente Funktionen entwickelt. »Wir wollen die Mobilität für die Menschen erhöhen, die kein eigenes Automobil haben, und gleichzeitig die Auslastung der Fahrzeuge verbessern. Mobilität und Verkehr haben immer auch einen sozialen Aspekt. Das dürfen wir bei der Entwicklung von vernetzten Mobilitätskonzepten nicht vergessen«, sagt Koch. Die Bürgerbusfahrten wurden bereits praktisch erprobt. Erste Landkreise in Rheinland-Pfalz haben auch schon ihr Interesse signalisiert. All diese Konzepte haben eines gemeinsam: Wir fahren nicht mehr zwingend im eigenen Auto, sondern wählen die Option, die gerade am besten passt.
Seinen besonderen Rang wird das Automobil nach Meinung der Fraunhofer-Forschenden nicht verlieren. Sebastian Stegmüller glaubt an die emotionalen Faktoren: »Mobilität ist mehr als das berühmte Von-A-nach-B. Beim Auto gibt es Aspekte, die über das rein Rationale hinausgehen.« Komfort, Ausstattung und Privatsphäre werden im Auto der Zukunft deshalb nicht weniger, sondern mehr Gewicht haben. Für die Automobilhersteller eröffnet sich die große Chance, wirklich neuartige Konzepte vorzulegen. Eine Studie für dieses Zukunftskonzept haben Fraunhofer-Forschende unter dem Namen Vision PI bereits vorgestellt. Die Fahrgastzelle ist dabei nach einem Schalenprinzip konstruiert und lässt sich flexibel an die individuellen Bedürfnisse der Passagiere anpassen. Tagsüber oder bei der morgendlichen Pendelfahrt könnte die Fahrgastzelle beispielsweise als mobiles Office für Arbeit und Videokonferenz dienen. Die HMI-Technologien (Human Maschine Interfaces) des Fahrzeuges verbinden sich dabei nahtlos mit mitgebrachten Devices wie Tablets oder Kopfhörern und ermöglichen auf diese Weise ein integriertes Medienerlebnis. Die Routenwahl wird automatisch nach Kriterien wie Netzverfügbarkeit, ruhiger Fahrweise und anstehenden Terminen gestaltet und angepasst. Abends verwandelt sich die Fahrgastzelle in einen Ruheraum mit abgedunkelten Scheiben und alle Sinne ansprechenden Wellness-Funktionen – für die entspannte Heimfahrt nach der Arbeit. Die Verwendung hochwertiger Materialien steigert dabei den Wohlfühlfaktor. Gemütliches Lounge-Ambiente statt nüchternem Cockpit-Feeling. »Was heute die PS-Zahl ist, wird in Zukunft die kontextspezifisch personalisierbare Ausstattung und haptische Qualität eines Fahrzeuginnenraums sein«, ist Stegmüller überzeugt.
»Vision PI« – Nachhaltiges Mobilitätskonzept der Zukunft mit Lifestyle-Faktor (Presseinformation 16. Nov. 2020)
»Mobilität und Verkehr haben auch einen sozialen Aspekt!«
Wenn Grundvoraussetzungen wie Beachtung sozialer Standards bei der Produktion, ökologische Nachhaltigkeit und Sicherheit erfüllt sind, dann spricht auch nichts mehr dagegen, dass uns das Auto als individuelles Konsumgut erhalten bleibt. Prof. Michael Lauster, Institutsleiter am Fraunhofer-Institut für Naturwissenschaftlich-Technische Trendanalysen INT, ist jedenfalls optimistisch: »Das Auto wird noch eine lange und glänzende Zukunft haben. Es bleibt auch weiterhin einer der wesentlichen Träger individueller Mobilität. Mit dem Trend zum Benutzen statt Besitzen wird es allerdings nur noch wenigen als Statussymbol dienen.«