4 | 24 F rüher kämpfte Prof. Till Schäberle im Kader der deutschen Nationalmannschaft gegen die internationale Karate-Elite. Heute sind seine Gegner wesentlich kleiner, aber mindestens genauso furchteinflößend: Bakterien, gegen die Antibio- tika nicht mehr wirken. Die Weltgesundheitsorganisation schätzt, dass welt- weit jedes Jahr 1,3 Millionen Menschen an antibiotika- resistenten Infektionen sterben. Mehr als 39 Millionen Todesfälle bis 2050 prognostiziert eine umfassende Stu- die, veröffentlicht im September 2024 in der Fachzeit- schrift »The Lancet«, sollte sich an der derzeitigen Ver- sorgungssituation nichts ändern. Die Autorinnen und Autoren haben einen dringenden Appell: Erforscht neue Antibiotika! Schäberle, der am Fraunhofer-Institut für Molekular- biologie und Angewandte Oekologie IME in Gießen die Abteilung »Naturstoffforschung« leitet, hat bereits einen aussichtsreichen Kandidaten identifiziert: Darobactin. Die Substanz wird von Photorhabdus gebildet, einem Bak- terium, das im Darm von Fadenwürmern lebt. Diese drin- gen in Insektenlarven ein und nutzen den Mikroorganis- mus als todbringende Waffe: Einmal injiziert sterben die Larven aufgrund von Toxinen, die das Bakterium bei sei- ner Vermehrung freisetzt. »Um seine Nahrungsquelle zu schützen, produziert es den Wirkstoff Darobactin. Damit tötet es Fressfeinde – andere Bakterien, für die die nähr- stoffreichen Larven ebenfalls attraktiv sind«, erklärt Schä- berle. Darobactin zielt auf ein Target, also einen Wirkort, den keines der herkömmlichen Antibiotika attackiert: das überlebenswichtige Protein BamA, das sich in der äußeren Membran von gramnegativen Bakterien befindet – also in genau jenen Problemkeimen, gegen die neue Wirkstoffe dringend gesucht werden. Schäberle: »Die An- griffspunkte gängiger Antibiotika sind relativ begrenzt, da hat sich seit den 1960er-Jahren nicht viel getan. Ein neues Target heißt: Es wirkt auch gegen multiresistente Bakterien – eine große Chance!« So ist Darobactin nicht nur für den Fadenwurm ein unverzichtbarer Helfer, sondern könnte auch für uns ein wichtiger Verbündeter im Kampf gegen lebensbedroh- liche Keime werden. Bakterien sind Meister der Anpassungsfähigkeit. Da- rum überleben sie selbst an unwirtlichen Orten wie hei- ßen Quellen, in der Tiefsee oder in stark radioaktiven Umgebungen. Jeder Einsatz von Antibiotika fördert die Bildung von Resistenzen: Empfindliche Bakterien werden abgetötet, andere finden einen Weg zu überleben, sich zu vermehren und genetisch so zu verändern, dass das An- tibiotikum keine Angriffspunkte mehr hat. Resistente Erreger treten daher oft dort auf, wo viele dieser Medika- mente eingesetzt werden, beispielsweise in Kliniken. Bei Darobactin gibt es jedoch Hoffnung: »Unsere Stu- dien zeigen, dass Bakterien, die ihr Target veränderten, um sich Darobactin zu entziehen, weniger gefährlich sind«, erzählt Schäberle. Er und sein Team arbeiten jetzt daran, die molekulare Leitstruktur zu optimieren: »Die Natur hat die Substanz nicht für die Anwendung im Menschen entwickelt. Wir müssen sie gegen die Pathogene, die uns betreffen, aktiver machen – und sicherstellen, dass sich keine toxischen Effekte zeigen.« Klar sei aber auch, dass ein einziger neuer Wirkstoff nicht reicht, um die Anti- biotika-Krise in den Griff zu bekommen. »Wir brauchen eine ganze Toolbox, also viele verschiedene Lösungen, die man kombinieren kann und sollte, um lebensbedroh- liche Infektionen erfolgreich zu bekämpfen.« Die Biodi- versität biete zahlreiche Möglichkeiten. Schäberle appel- liert: »Wir müssen alles nutzen, was geht!« Gifte, die heilen Eine dieser Möglichkeiten, die bisher in der Antibiotika- Forschung kaum wahrgenommen wurde, sind Tiergifte. Schäberles Kollege Dr. Tim Lüddecke, der ebenfalls am Fraunhofer IME forscht und dort die Arbeitsgruppe »Ani- mal Venomics« leitet, will das ändern. Lüddecke: »In Tier- giften steckt viel Potenzial für neue Arzneistoffe. Einige wichtige Medikamente basieren auf ihnen, wie zum Bei- spiel der verbreitete Blutdrucksenker Captopril, der ein leicht abgewandeltes Toxin aus der südamerikanischen Lanzenotter enthält.« Im August haben er und sein Team entdeckt, dass einzelne Bestandteile aus der Giftstofffamilie des Bücher- skorpions eine starke Wirkung gegen einen der häufigs- ten und gefährlichsten Krankenhauskeime haben: MRSA oder Methicillin-resistente Staphylococcus aureus. Der Erreger ist bei 20 bis 30 Prozent der Menschen auf Haut und Schleimhäuten zu finden, ohne krank zu machen. Gelangt er jedoch beispielsweise über OP-Wunden in den Körper, kann er Infektionen verursachen, die oft einen schweren Verlauf nehmen, denn MRSA ist gegen viele Antibiotika unempfindlich. Lüddecke und sein Team konzentrieren sich bei ihrer Forschungsarbeit auf einheimische Gifttiere wie den Bü- cherskorpion, der durchschnittlich nur drei Millimeter groß wird und sich gerne in Büchern auf die Jagd nach Staubläusen macht. Er gehört zur Gruppe der Pseudo- skorpione, die weltweit rund 3000 Arten umfasst. Lüd- decke: »Im Vergleich zu richtigen Skorpionen besitzen sie keinen Giftstachel, sondern haben ihre Giftwerkzeuge vorne in den Scheren – also völlig verrückte Tiere.« Ihr Gift nutzen sie, um ihre Beutetiere, zu denen auch Milben und Fruchtfliegen gehören, zu lähmen. Doch wie kommt man an das Gift dieser Winzlinge? »Mit erheblichem Aufwand«, sagt Lüddecke und lacht, als er den Weg beschreibt. Um das Bücherskorpion-Gift zu melken, baute das Fraunhofer IME-Team eine aufwendige Apparatur. Lüddecke: »Bis wir genug Gift für unsere 40