1 | 24 89,4 % des deutschen Treibhausgas- Ausstoßes von Deutschland basieren auf Kohlendioxid. (Stand: 2022) 20 den Kohlenstoff bestmöglich im Kreislauf zu füh- ren, sodass er nach Entstehung nicht freigesetzt, sondern vor Ort nachhaltig weiterverwertet wird«, fasst Prof. Dr.-Ing. Görge Deerberg zusammen. Der Direktor für Transfer am Fraunhofer UMSICHT ist einer der Projektkoordinatoren des 2016 gestarteten Mammut-Projekts: Gefördert vom Bundesministe- rium für Bildung und Forschung, bringen sich hier Grundlagenforschung, angewandte Forschung und unterschiedliche Industriezweige gleichermaßen ein. »Dieses cross-industrielle Netzwerk ist essenziell für das Gelingen des Projekts Carbon2Chem®«, befindet Deerberg. Ihm geht es hier nicht allein um die Ent- wicklung einzelner Technologien, sondern um deren Integration zu einem branchenübergreifenden Ge- samtwerk. In dem wird es ganz neue Konstellationen von Kooperationen geben: »Die Chancen und Risiken der CO2-Nutzung müssen fair verteilt werden. Das ist eine Voraussetzung für langfristigen Erfolg.« Im Zentrum von Carbon2Chem® steht die Subs- titution: Der Kohlenstoff, der für die Produktion von vielen industriell relevanten Basischemikalien, Kunst- stoffen und synthetischen Kraftstoffen benötigt wird, soll künftig nicht mehr aus fossilen Quellen stammen, sondern aus Prozessgasen der Industrie sowie aus der thermischen Abfallverwertung. Phase 1 des Projekts beschäftigte sich unter anderem mit dem Thema Gas- reinheit. »Hüttengase aus der Stahlindustrie entstehen am Hochofen, am Konverter und in der Kokerei. Ent- sprechend unterschiedlich ist auch deren Zusammen- setzung«, erklärt Chemieingenieur Deerberg. Es wur- den deshalb zunächst Technologien entwickelt, um die Gase zu analysieren und anschließend so weit zu reinigen, dass sie weiterverarbeitet werden können, ohne katalytische Prozesse zu stören. Eine andere Herausforderung war die der schwankenden Konzen- trationen der Komponenten in den Prozessgasen: »Die Technologien in Chemieanlagen haben es gerne ge- nau, sie können schlecht mit Bandbreiten umgehen«, erläutert Deerberg. »Es galt, einen Systemansatz zu formulieren, der anpassungsfähig ist für Rahmen- bedingungen, die sich nicht nur minütlich ändern, sondern auch als Folge der industriellen Transforma- tion über Jahre hinweg.« In Phase 2, gestartet 2020, steht die Skalierung der Technologie an. Dafür wurde das 500 Quadrat- meter große Labor auf dem Gelände des Fraunhofer UMSICHT erweitert um ein 3700 Quadratmeter großes Technikum direkt neben dem Werksgelände der thys- senkrupp Steel Europe AG in Duisburg. Die Demons- trationsanlagen sind angebunden an das Leitungs- netzwerk des Hüttenwerks. 2018 gelang erstmals die Herstellung von Methanol aus Hüttengasen, »gerade mal ein kleines Glas voll«, erinnert sich Prof. Deer- berg. »Aber das war schon ein ganz besonderer Mo- ment für uns alle.« Eine nächste Anlage soll bereits 12 Tonnen pro Tag produzieren. Phase 3 schließlich wird sich mit dem Technolo- gietransfer in andere emissionsstarke und energie- intensive Betriebe befassen, etwa Zementwerke und Müllverbrennungsanlagen. »Carbon2Chem® will die große industrielle Transformation begleiten und vo- rantreiben«, betont Projektkoordinator Deerberg. Denn auch wenn die Reduktion von CO2-Emissionen weiter engagiert voranschreitet, wird es immer Sektoren ge- ben, die unweigerlich Kohlendioxid produzieren. Des- halb plädiert Deerberg dafür, parallel zu der Entwick- lung innovativer CCU-Technologien am Image von Kohlenstoff zu arbeiten: »Im Moment fokussieren vie- le auf die strikte Vermeidung von Kohlenstoff. Dabei ginge es auch anders: Kohlenstoff weiter nutzen – aber eben nicht mehr den aus fossilen Rohstoffen.« Lässt sich mit CO2 bald Geld verdienen? Im Kompetenzzentrum Biointelligenz wagt sich Dr. Jonathan Fabarius, Themenfeldleiter Mikrobielle Ka- talyse am Fraunhofer IGB, noch einen Schritt weiter: »Geld verdienen mit CO2?« betitelt er eine Blogserie und untersucht im Beitrag zum »Abschied vom fossi- len Zeitalter«, wie aus Kohlendioxid wichtige chemi- sche Wertstoffe generiert werden können. Kohlendi- oxid als sprudelnde Geldquelle? Auch sein Kollege Dr. Arne Roth, Abteilungsleiter Nachhaltige katalytische Prozesse am Fraunhofer IGB, betont die Bedeutung von CO2 als »wichtigen Rohstoff, den man besser in eine zirkuläre Wirtschaft überführen sollte, anstatt immer wieder neue kohlenstoffhaltige Ressourcen aus dem Boden zu holen«. Für den kommerziellen Er- folg vieler CO2-basierter Wertschöpfungsketten müss- ten aber noch durch zielgerichtete und entschlossene Forschung und Entwicklung die technischen Voraus- setzungen geschaffen werden. Im EU-Projekt EcoFuel soll diese Idee in die elek- trochemische Herstellung synthetischer Kraftstoffe aus Kohlendioxid und Wasser einfließen. »Wir haben hier mit verschiedenen europäischen Partnern eine innovative Prozesskette erarbeitet, die mit CO2 startet, das mittels Direct Air Capture, also aus der Luft ge- wonnen wird«, berichtet Roth. In einem nächsten Schritt wird das Gas elektrokatalytisch umgesetzt zu Ethen, einem C2-Gas, das dann wiederum in Flüssig- kraftstoffe umgesetzt wird. Power-to-X-to-Y lautet die Kurzformel für diesen Kaskadenansatz. Am bayeri- schen Zentrum für nachhaltige Kraftstoffe (ZENK) wollen Forschende der Fraunhofer-Institute IGB und UMSICHT neue Produktionswege für Kraftstoffe auf der Basis von CO2, Biomasse und erneuerbarem Strom eruieren und sie bis in den Technikums-Pilotmaß- stab skalieren.