Komplexe Funktionalität auf kleinstem Raum: Das verkapselte Mikroimplan- tat beinhaltet eine acht - lagige Platine. Hand nach einer Querschnittslähmung. Alle drei unterscheiden sich nicht nur in der Aufgabe des Implantats, sondern auch im Aufwand: von zwei einzusetzenden Mikroimplantaten bei der Tinnitus-Unter- drückung bis zu zwölf zur Bewegungs-In- itiierung in Arm und Hand. Geladen wird induktiv und adaptiv Bei der Tinnitus-Applikation etwa stimu- liert jeweils ein Implantat über das Run- de Fenster die Cochlea, moduliert so die Aktivitäten im Hörnerv und »verrauscht« dadurch das Phantomgeräusch, das rund zehn Millionen Menschen in Deutschland den Alltag verleidet und nachts nicht zur Ruhe kommen lässt. Um gastrointestinale Motilitätsstörungen zu beheben, wie sie etwa nach Bauchraum-Operationen, bei Querschnittsgelähmten oder Diabetikern vorkommen, erfassen die strategisch im Magen-Darm-Trakt verteilten Implanta- te die Aktivität jeweils eines Abschnitts und kommunizieren dieses Wissen an eine zentrale Steuereinheit. Diese wertet die Datenlage aus und motiviert dann die entsprechenden Implantate zur Stimula- tion des gesamten Intestinaltraktes und bewirkt so einen möglichst störungsfreien Verdauungsprozess. n g i s e d d l i W : s o t o F Besonders komplex ist die partielle Wie- derherstellung der Greiffunktion. Dafür können bis zu zwölf Muskeln des Unter- arms von dem Mikroimplantat-Netzwerk in koordinierter Weise stimuliert und so bis zu acht Handbewegungen wiederher- gestellt werden. Der Patient kontrolliert die Handbewegung dabei über ein Eye- Tracking-System: Vorab definierte Au- gen-, Lid- und Kopfbewegungen geben Befehle an die zentrale Steuereinheit wei- ter, die dann entsprechend das Implantat- Netzwerk orchestriert. »Mit der Entwicklung dieses Netzwerks haben wir gleich mehrere Vorteile geschaf- fen«, erläutert Elektroingenieur Roman Ruff, Gruppenleiter am Fraunhofer IBMT. Einer davon sei die höhere Biostabilität: »Sensoren und Aktoren wurden direkt in das Gehäuse integriert, sodass wir auf emp- findliche Kabelverbindungen verzichten konnten.« Die Implantate interagieren stattdessen über Funk und Infrarot mit- einander. Als Netzwerk können sie auch komplexe Vorgänge im Körper therapieren und größere Organe stimulieren. Das Fraunhofer-Institut für Integrierte Schal- tungen IIS hat für die Implantate einen stark miniaturisierten ASIC (»application- specific integrated circuit«, also eine anwendungsspezifische integrierte Schal- tung) entwickelt, der zum einen Biosigna- le etwa aus dem Armmuskel oder aus Ma- gen und Darm erfassen und weitergeben, aber auch die dazu passende Elektro- stimulation initiieren kann. Ein Flaschenhals für Weiterentwick- lungen von » Bioelectronics« ist die Ener- gieversorgung. Batterien brauchen Platz und müssen regelmäßig ausgetauscht wer- den, was bei einem Verbund aus Implan- taten besonders aufwendig ist, da jedes einzelne Gerät hier je nach Beanspruchung einen individuellen Energieverbrauch hat. INTAKT setzt auf induktive Ladung. Eine zentrale Steuereinheit liefert dem Implan- tat-Netzwerk so für 24 Stunden zuverläs- sig Energie. Diese Basisstation kann der Patient bei den drei aktuellen Anwen- dungsfeldern entweder als eine Arm- oder Bauchmanschette oder als Ear-Wearable hinter dem Ohr tragen. »Die Energiever- sorgung von außen ermöglicht eine Lang- zeitstabilität des Implantat-Verbunds«, be- tont Klaus-Peter Hoffmann. »Außerdem 3 | 22 erfolgt die Energieversorgung adaptiv – jedes einzelne Implantat erhält nur genau die Strommenge, die es benötigt.« Für den Notfall ist eine Batterie als Pufferspeicher im Implantat integriert, die ebenfalls re- gelmäßig induktiv geladen wird. Auch soziale, rechtliche und ethische Implikationen der Mensch-Technik-Inter- aktion waren Bestandteil der Arbeit des Innovationsclusters. Etwa die Herausfor- derung, wie Plattformen und Bedienele- mente gestaltet werden müssen, damit sie nicht nur die unterschiedlichen Anwen- dungsbereiche abbilden, sondern auch so- wohl vom Arzt als auch vom Patienten selbst einfach und sicher bedient werden können. Oder die Frage, welche Umge- bungsdaten beim Eye Tracking aufgezeich- net, verarbeitet und gespeichert werden müssen. Klaus-Peter Hoffmann nennt als Beispiel das Tragen der Brille beim Sauna- gang: »Auch dort muss ein Betroffener ja greifen können, um sich an- und auszu- ziehen oder das Handtuch auszubreiten. Doch was ist mit den Persönlichkeitsrech- ten der anderen Saunabesucher?« Fragen, auf die es keine einfachen Antworten gibt. Erste präklinische Tests und Proban- denstudien haben bereits gezeigt, dass die bislang entwickelten INTAKT-Applikatio- nen funktionieren. Dennoch ist es ein wei- ter Weg, bis diese tatsächlich in Menschen implantiert werden können. In Sachen Miniaturisierung der jetzt bereits nur noch daumennagelgroßen Mi- kroimplantate sieht der Koordinator des Fraunhofer IBMT noch Spielraum. Es gilt, insbesondere Partner aus der Industrie zu gewinnen, um den mit INTAKT eingeschla- genen Weg weiter zu beschreiten. INTAKT Verbundpartner: Fraun hofer IBMT, Universitätsmedizin Mainz, Universitätsklinikum Heidelberg, Charité-Universitätsmedizin Berlin, Fraunhofer IIS, Universität Mannheim, TU Ilmenau, GeSiM Gesellschaft für Silizium-Mikrosysteme mbH, inomed Medizintechnik GmbH, Soventec GmbH, Wilddesign GmbH & Co.KG, IL Metronic Sensortechnik GmbH, Glück Engineering GmbH, Würth Elektronik GmbH & Co.KG, VARTA Microbattery GmbH, Heraeus Medical Components, CeramTec-ETEC GmbH, CTC advanced GmbH zurück zu Seite 1 51