Für den Erfolg von Innovationen ist es entscheidend, wie Nutzer diese akzeptieren. Doch bislang fehlt es an Prozessen, wie Bürger sich mit Forschern dazu austauschen können. Im Projekt »Shaping Future« hat das Center for Responsible Research and Innovation CeRRI am Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation IAO ein Vorgehensmodell entwickelt, das genau das ermöglicht: Menschen können ihre Wünsche und Anliegen an technische Zukunftslösungen artikulieren, Technologiebedarfe beschreiben und diese mit Experten der Fraunhofer-Gesellschaft austauschen. Diese haben die Möglichkeit, Ideen aufzunehmen, weiterzuentwickeln und für zukünftige Forschungsarbeiten zu nutzen. In Roadmaps zeigen die Wissenschaftler, welche technologischen Schritte erreicht und welche sozialen und juristischen Bedingungen erfüllt sein müssen, um die Ideen zu realisieren. Designer haben aus besonders vielversprechenden Ideen spekulative Prototypen gefertigt, um sie als interaktive Exponate in einer Ausstellung sowohl einem Fachpublikum als auch der breiten Öffentlichkeit vorzustellen. Diese sind vom 30. Juli bis zum 26. Oktober 2016 im JOSEPHS® zu sehen, einem interaktiven Ausstellungsort in der Nürnberger Innenstadt, betrieben von Fraunhofer und der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg.
»Es geht dabei nicht nur um Teilhabe. Wer neue Technologien entwickelt, muss die Menschen miteinbeziehen. Sonst besteht die Gefahr, dass Innovationen an den Bedarfen der Nutzer vorbei gehen«, sagt Marie Heidingsfelder. Sie ist am Fraunhofer Center for Responsible Research and Innovation CeRRI in Berlin verantwortlich für das Forschungsprojekt: »Dass die Methode funktioniert, zeigt der Erfolg der ersten Workshops«. Über 100 Bürgerinnen und Bürger unterschiedlichsten Alters und beruflichen Hintergrunds waren gefragt, sich Gedanken über Technologien für das Jahr 2053 zu machen. In vier Workshops setzten sie sich mit den Themen Beziehungen zu Maschinen, Gesundheit, Arbeit und nachhaltige Mobilität auseinander. »Die Ergebnisse waren sehr vielfältig. Aber wir konnten auch übergreifende Themen identifizieren«, schildert Heidingsfelder.
Big Mother statt Big Brother
Ein wichtiges übergreifendes Ergebnis war, dass sich viele der Teilehmenden möglichst unsichtbare, weiche Technologien wünschten, die sich auch gut am Körper tragen lassen. Eine weitere Rolle spielten Raummodelle, die es flexibel erlauben, sich je nach Bedarf individuell zurückzuziehen oder mit anderen Menschen zu interagieren. Eine Idee waren beispielsweise Schutzkapseln für öffentliche Verkehrsmittel, die in Bussen oder Straßenbahnen angebracht sind, und die man sich flexibel über Kopf und Rumpf ziehen kann, sobald man ungestört für sich sein will. Gefragt waren auch Technologien, die helfen, die eigene geistige und körperliche Leistungsfähigkeit zu verbessern. »Vor dem Hintergrund einer immer komplexer werdenden Welt wünschen sich viele Menschen eine Art Big Mother, die einem hilft, Entscheidungen zu treffen und besser mit Stress oder körperlichen Anstrengungen umzugehen«, berichtet Heidingsfelder. Schließlich bestand der Wunsch, dass Maschinen menschliche Emotionen als eine Art Dolmetscher besser an andere Menschen weitergeben sollten. Zum Beispiel in Form von übertragbaren Erinnerungsspeichern, die es auch anderen Menschen ermöglichen, selbst erlebte Ereignisse emotional nachzuempfinden. Beim Thema Gesundheit war wenig von Ärzten und Krankenhäusern die Rede. Die Menschen wollten vielmehr Technologien, die sie befähigen, sich selbst zu diagnostizieren und zu heilen. »Das Krankenhaus der Zukunft stellten sich die Teilnehmer unseres Workshops beispielsweise als Drive-In-Variante vor«, erzählt Heidingsfelder.
Prototypen zeigen Funktion und Interfaces für Ideen
Um sich in das Jahr 2053 hineinversetzen zu können, inspirierte das Projektteam die Teilnehmenden mit zukunftsweisenenden Bildern, Produkten und Forschungsvorhaben – zum Beispiel aus Filmen, künstlerischen Entwürfen oder Einblicken in Forschungslabors. Mit Hilfe von Kreativitätsmethoden, Storytelling und Techniken aus der Designforschung entwickelten die Bürger konkrete Lösungen für Szenarien im Jahr 2053 – zum Beispiel für Krankheitsfälle im Workshop Gesundheit. Im großen Materiallager des CeRRI bastelte jeder Teilnehmer ein erstes prototypisches Objekt seiner favorisierten Idee, um Funktion und Bedienoberfläche zu veranschaulichen.
»Die Methode sieht vor, dass sich unterschiedliche Menschen austauschen: Einerseits hatten wir eine sehr heterogene Gruppe an Teilnehmenden, andererseits ein interdisziplinäres Projektteam, in dem Forschende an der Schnittstelle von Design und Sozialwissenschaft neue Methoden entwickeln«, berichtet Heidingsfelder. Experten aus den Bereichen Mikroelektronik, Optik, Werkstoffe, Logistik, Informatik, Produktion, Arbeitswirtschaft und Medizin nahmen die von den Bürgerinnen und Bürgern entwickelten prototypischen Objekte unter die Lupe. Sie identifizierten diejenigen, die sie für besonders interessant, innovativ oder zukunftsfähig hielten und machten sich Gedanken, wie eine technologische Lösung aussehen könnte.
Das Projekt »Shaping Future« wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung BMBF gefördert. »Das Vorgehensmodell kann auf unterschiedliche thematische Schwerpunkte übertragen werden, um die Bedarfe der Nutzer in Innovations- und Forschungsstrategien einzubeziehen«, sagt Heidingsfelder.