Das Multifunktionslenkrad ist mittlerweile Standard in vielen Autos. Der Fahrer steuert Tempomat oder Musikanlage, ohne dass er die Hände vom Lenkrad nehmen muss. Die Schalter sind jedoch unflexibel und können oft nur zwischen »Ein« und »Aus« beziehungsweise »Weiter« und »Zurück« unterscheiden. »Das liegt daran, dass sie aus starren Materialien, hartem Kunststoff, Metall oder Keramik bestehen«, erklärt Dr. Holger Böse vom Würzburger Fraunhofer-Institut für Silicatforschung ISC. Der technisch-wissenschaftliche Leiter des Center Smart Materials (CeSMa) beschäftigt sich mit intelligenten Materialien, deren mechanische Eigenschaften sich elektrisch oder magnetisch steuern lassen.
Die Sensoren des ISC senden elektrische Impulse aus, um Dinge zu steuern. Zu diesem Zweck sind sie wie ein elektrischer Kondensator aufgebaut: Zwei Elektrodenschichten aus leitfähigem Silikon unten und oben, eine isolierende Folienschicht dazwischen. Drückt man auf diesen Kondensator, passiert jedoch zunächst: nichts. »Die elektrische Kapazität – Ladung geteilt durch angelegte Spannung – ist die entscheidende Größe. Bei einem herkömmlichen Kondensatoraufbau ist die Presswirkung allerdings so gering, dass wir sie kaum messen, geschweige denn zur Steuerung nutzen können«, schildert Böse. Damit das Drücken auch Wirkung zeigt, haben die Forscher weitere Silikonschichten auf die Folie aufgetragen. So pressen zum Beispiel zwei weitere Folien von oben und unten zusätzlich auf die Folie in der Mitte. Beide sind nicht glatt, sondern haben von den Forschern ein besonderes Profil verpasst bekommen. Durch ihr spezielles Kondensatordesign konnten die Forscher eine physikalische Eigenschaft des Silikons nutzen, die bislang nur beobachtet wurde, wenn man eine Silikonfolie mit dehnbaren Elektrodenschichten in die Länge zieht: Ihre Geometrie wird verändert, die Fläche größer und die Silikonschicht dünner. Das führt dazu, dass ihre elektrische Kapazität ansteigt. »Das haben wir jetzt von Zug- auf Druckkräfte übertragen«, erklärt Böse.
Wie die Druckkraft wirkt, hängt stark davon ab, wie die Profile auf den Folien und wie die Elektroden angebracht werden. Die elektrische Kapazität der Sensoren ist jeweils unterschiedlich. Die Forscher können die Unterschiede nutzen und so das Design der Sensoren individuell an verschiedene Geometrien und Empfindlichkeiten anpassen. Das Silikon stellen die Wissenschaftler aus industriellen Vorprodukten oder nach eigener Rezeptur her. »Unsere chemische Abteilung kann das Silikon für die Sensoren je nach Kundenwunsch maßschneidern. Je nachdem, welche Eigenschaften gewünscht sind, variieren wir die chemische Zusammensetzung und die technische Form der Sensoren«, sagt Böse.
Vom bayerischen Wirtschaftsministerium gefördert
Die Drucksensoren sind innerhalb einer Fördermaßnahme des bayerischen Wirtschaftsministeriums entstanden, um smarte Materialien zu entwickeln und in die Anwendung zu bringen. Das Projekt ist jetzt im siebten Jahr und endet 2016. »Auf Fachtagungen war die Resonanz der Autobranche auf die neue Technik sehr positiv«, berichtet Böse. »Jetzt gilt es, die Technologie raus aus dem Labor zu bringen und an unterschiedliche Anwendungen anzupassen. In einigen Jahren könnte es dazu konkrete Produkte geben.«
Da es sich um flexible, weiche Sensoren handelt, kann man diese in alle möglichen Arten von Umgebungen integrieren. »Die Anwendungsgebiete sind nahezu unendlich groß«, sagt Böse. Beispiel Auto: Bedienelemente kommen hier beispielsweise im Lenkrad, der Mittelkonsole, als Fensterheber oder im Sitz vor. Sie könnten die alten starren Schalter ersetzen oder an neuen Stellen angebracht werden: in der Fahrzeugdecke oder in der Türverkleidung.