Ein häufiges Missverständnis möchte Alexander Zink, Forscher am Fraunhofer-Institut für Integrierte Schaltungen IIS, ausräumen: »Digitalradio funktioniert wie UKW-Radio terrestrisch per Funk, allerdings mit besserer Qualität, mehr Vielfalt und neuartigen Zusatzangeboten. Es ist unabhängig vom Internet und damit kostenfrei von jedem zu empfangen.« Gemeinsam mit Martin Speitel, Max Neuendorf und einem großen Team entwickelte er die notwendigen Basistechnologien sowie Sende- und Empfangssysteme für Digitalradio-Anwendungen. Diese Technologien werden heute weltweit in nahezu allen digitalen Radiosystemen eingesetzt.
Digitalradio bereits weltweit etabliert
In den meisten europäischen Staaten gehört Digitalradio bereits zum Alltag. Etliche Schwellenländer planen derzeit die Umstellung vom analogen Kurz- und Mittelwellenradio auf das Digitalradio, und auch die Digitalisierung der lokalen UKW-Versorgungen ist im Gange – Indien gehört dabei zu den Vorreitern und ist auf dem Weg zum größten Digitalradio-Markt der Welt.
Dabei bietet die neuartige Technologie sowohl für Radiohörer als auch für Produzenten und Radiosender wesentliche Vorteile, die nicht nur eine bessere Audioqualität betreffen. Durch den Datendienst Journaline etwa kann der Zuhörer Textinhalte wie Nachrichten, Wetter oder Stau- und Flughafeninformationen direkt auf seinem Radioempfänger gezielt nachlesen. »Auch im Zeitalter des Internets werden Radiosysteme immer das zuverlässigste Verbreitungsmedium für Nachrichten oder Notfall-Alarmierungen sein. Insbesondere in Ländern mit schlechter bis keiner Internetversorgung ermöglichen die neuen Systeme den kostenfreien und breitflächigen Zugang zu Information und Bildung«, betont Alexander Zink die politische Dimension der Fraunhofer-Entwicklung.
Auch für die Rundfunkanstalten bietet Digitalradio Vorteile. Durch die effizientere Übertragung der Programme lässt sich einerseits Energie bei der Ausstrahlung und damit Geld sparen und andererseits eine größere Anzahl von Programmen aussenden. Von diesem Vorteil profitiert zum Beispiel der öffentlich-rechtliche Sender Deutschlandradio seit mehreren Jahren. »Es gibt nicht ausreichend UKW-Frequenzen. Nur durch die digitale Verbreitung können wir die ganze Bundesrepublik abdecken«, betont Deutschlandradio-Intendant Dr. Willi Steul.
Technologien für die gesamte Sendekette
Die Wissenschaftler des IIS entwarfen Technologien und Komponenten entlang der gesamten Sendekette des Digitalradios. Dazu zählen sowohl neuartige Audiocodier-Verfahren als auch Server-Lösungen für die Codierung und Erstellung der Digitalradio-Sendesignale sowie Softwarekomponenten für Wiedergabegeräte. Die in MPEG standardisierten Audiocodecs xHE-AAC und HE-AAC verarbeiten Daten intelligent, so dass sich die Menge drastisch verringert, während die Qualität erhalten bleibt. »Diese Codecs bilden die Grundlage für die gute Klangqualität des Digitalradios. Bei der Entwicklung halfen uns die Erfahrungen mit mp3 und den Nachfolgeverfahren sehr«, sagt Max Neuendorf, Gruppenleiter des Audio- und Sprachcodierungs-Teams am IIS. Für den Empfang und die Wiedergabe von Digitalradio wurden neue Softwareanwendungen für Endgeräte entwickelt, »damit das Signal, das man über die Antenne in digitaler Form empfängt, wieder komplett zurückgerechnet wird in eine hörbare Form, so wie man es von jedem konventionellen Radio kennt. Dank unserer flexiblen Lösung können Radio- und Chipsatz-Hersteller sehr einfach eine Vielzahl von Digitalradiostandards parallel unterstützen«, erläutert Martin Speitel, Projektleiter Software Defined Radio am IIS. Und auch für Rundfunkanstalten ließen sich die Wissenschaftler eine leicht zu bedienende Lösung einfallen: »Unsere ContentServer-Technologie ist heute eine der am häufigsten eingesetzten Lösungen, die alle Einzelkomponenten wie Audiocodierung, Datendienste- und Signalisierungs-Management und die Multiplex-Erstellung in einem Gerät zusammenführt. Damit können Rundfunkveranstalter und Netzbetreiber die Digitalradio-Sendesignale extrem einfach konfigurieren und den gesamten Funktionsumfang des Digitalradios ausschöpfen«, erklärt Alexander Zink, der am IIS für die weltweite Standardisierung und Marktentwicklung des digitalen Radios verantwortlich ist.
Für die Entwicklung der Grundlagen des Digitalradios und der Weiterführung bis zum Marktdurchbruch erhalten Alexander Zink, Martin Speitel und Max Neuendorf stellvertretend für das gesamte Entwicklerteam den Joseph-von-Fraunhofer-Preis 2016. Die Jury würdigt damit »die kontinuierliche Weiterentwicklung der Basistechnologie und das Besetzen von Standards in diesem Bereich. Über mehrere Jahre hinweg konnte das Fraunhofer IIS hier immer wieder Fortschritte und Durchbrüche erzielen.«