Virtuelles Untertagelabor hilft bei der Endlager-Suche
Ein Endlager muss den radioaktiven Abfall eine Million Jahre sicher einschließen – ein Zeitraum, in dem viele komplexe Prozesse ablaufen. Diese untersuchen Forscher derzeit in Untertagelaboren. Ein virtuelles Untertagelabor vereinfacht künftig solche Analysen.
Der Ausstieg aus der Atomenergie ist beschlossene Sache – spätestens im Jahr 2022 soll er in Deutschland beendet sein. Doch wohin mit den entstandenen radioaktiven Abfällen? Geeignete Orte für Endlager müssen schnellstmöglich gefunden werden – kein einfaches Unterfangen: Die Abfälle sollen für eine Million Jahre von der Biosphäre abgeschlossen werden, so die Forderung. Um zu untersuchen, ob ein möglicher Standort auch wirklich zum Endlager taugt, muss dort zunächst eine solche Lagerstätte samt den technischen Einrichtungen konzipiert, geplant und geprüft werden. In einem Endlager laufen verschiedene physikalische und chemische Prozesse ab, die sehr komplex sind und sich gegenseitig beeinflussen – so kann sich etwa das Gestein durch die eingelagerten Abfälle erwärmen und Gase können sich entwickeln. Bislang untersuchen Forscher diese Prozesse in Untertagelaboren, wie es sie momentan in Mont Terri in der Schweiz, in Äspö in Schweden, aber auch in Frankreich und Belgien gibt. Deutsche Wissenschaftler müssen für ihre Experimente also immer wieder ihre Koffer packen und zu den Bergwerken reisen, wo sie beispielsweise prüfen, wie gut Verschlusssysteme dicht halten. Der Untersuchungszeitraum ist jedoch begrenzt: Denn all diese Tests lassen sich nur einige Jahre lang durchführen.
Bergwerke virtuell anlegen und untersuchen
Die Gesellschaft für Anlagen- und Reaktorsicherheit GRS, die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe BGR und die DBE Technology GmbH als wichtigste Endlager-Forschungsinstitutionen benötigen daher eine Ergänzung zu den realen Untertagelaboren. In ihrem Auftrag entwickeln Forscher am Fraunhofer-Institut für Fabrikbetrieb und -automatisierung IFF in Magdeburg das weltweit erste virtuelle Untertagelabor VIRTUS. Die VIRTUS-Softwareplattform ist die zentrale Komponente des virtuellen Untertagelabors. Alle Gegebenheiten sind dort realistisch dargestellt – seien es die Gesteinsarten des Untergrunds oder die physikalischen oder chemischen Prozesse, die im Bergwerk ablaufen. An seinem Schreibtisch sitzend, kann der Forscher in einem realistischen Szenario virtuelle Experimente durchführen und die Konzepte und Standorte für Endlager bis ins Kleinste überprüfen.
In einem ersten Schritt stellen die Wissenschaftler die geologischen Formationen am Standort nach. Da es bislang noch keine konkreten Standorte für die Endlager gibt, arbeiten sie mit einem generischen Modell – die Gesteinsformationen sind realistisch aufgebaut, stellen aber keinen wirklichen Standort nach. »Zunächst einmal geht es darum, die Leistungsfähigkeit von VIRTUS an Hand erster Rechnungen zu überprüfen«, sagt Steffen Masik, Ingenieur am IFF. In dieser Gesteinsformation kann der Nutzer das virtuelle Endlager anlegen. Er hat dabei vielfältige Freiheiten: So definiert er, in welcher Tiefe sich das Bergwerk befinden soll: wie groß, hoch und breit es ist. Ebenso kann er ein vorab erstelltes Grubengebäude – also die Gesamtheit aller unterirdischen Hohlräume – hochladen und bestimmen, wo sich die Bohrlöcher oder Strecken befinden sollen, in die die radioaktiven Abfälle eingelagert werden.
Haben sie ein Grubengebäude erstellt, können die Wissenschaftler ihre Untersuchungen starten und einen Bereich des Bergwerks auswählen. Eine spezielle Schnittstelle übermittelt die räumliche Auswahl und die Daten der Grube an einen Simulator. Dieser berechnet etwa, wie sich die Temperatur im Bergwerk durch die radioaktiven Abfälle erhöht. Die Ergebnisse werden in VIRTUS anschaulich dargestellt. Der Nutzer kann sich auch Schnitte durch das Gestein anzeigen lassen, samt der dort herrschenden Temperaturen. Ebenso lassen sich mechanische Spannungen errechnen und damit die Wahrscheinlichkeit für eine Rissbildung. Auch Durchlässigkeiten für Wasser oder andere Flüssigkeiten und Gase können die Forscher genau unter die Lupe nehmen. VIRTUS zeigt alle Berechnungen gemeinsam mit dem geologischen Modell an. »Die Software stellt die berechneten thermischen, hydraulischen und mechanischen Prozesse in einem Endlager visuell dar – ebenso wie ihre komplexen Wechselwirkungen untereinander«, sagt Klaus Wieczorek, der bei der GRS im Bereich der Endlagersicherheitsforschung arbeitet und das Projekt leitet.
Ende April soll ein erster Prototyp von VIRTUS verfügbar sein: Im 360-Grad-Großprojektionssystem des Virtual Development und Training Center VDTC in Magdeburg erhalten Besucher zukünftig Einblicke, was in einem Endlager geschieht und wie die Simulationsergebnisse aussehen. »Für uns ist dies eine gute Gelegenheit, um das Vertrauen der Bürger in unsere Arbeit zu gewinnen und das Verständnis für Entscheidungen zu wecken«, sagt Wieczorek.