Mehr Komfort und Sicherheit für Rollstuhlfahrer
Mit modernen Kommunikationshilfen können E-Rollstuhlfahrer selbstständig PC und Handy bedienen, durchs Gelände navigieren und sich die Batteriekapazität anzeigen lassen. Ein neues Modul verwandelt die Elektro-Mobile in Kommunikationszentralen.
SMS verfassen, E-Mails schreiben, durchs Internet surfen, telefonieren – all dies ist für Menschen mit Handicap eine echte Herausforderung. Das gilt umso mehr für Rollstuhlfahrer mit eingeschränkter Handmotorik oder für Schwerbehinderte. Um elektronische Geräte problemlos bedienen zu können, sind die Betroffenen auf eine Kommunikationshilfe angewiesen. Eine solche haben Forscher vom Fraunhofer-Institutsteil Angewandte Systemtechnik AST im Auftrag des Medtech-Unternehmens und langjährigen Industriepartners Otto Bock Mobility Solutions GmbH entwickelt.
Dabei handelt es sich um ein Zusatzmodul, das die Funktionalität von E-Rollstühlen erweitert, indem es die vorhandene Rollstuhlsteuerung wie Joystick oder Kinnsteuerung per Bluetooth mit Handy, PC, TV, Spielekonsole und Co. verbindet. Schnittstelle für die Datenübertragung ist der CAN-Bus des Rollstuhls, wo alle Rollstuhldaten zusammenlaufen. »Mit dem Modul kann man alle Mausfunktionen – etwa auf dem Notebook oder dem Smartphone – ausführen und so beispielsweise E-Mails abrufen, sich durchs Internet klicken oder bei Notfällen Nachrichten verschicken. Unterstützt werden alle USB-fähigen Geräte«, sagt Prof. Dr. Andreas Wenzel, Gruppenleiter »Eingebettete Systeme« am AST in Ilmenau.
Smartphone-App berechnet Reichweite
Das Modul ist zu vielen E-Rollstühlen der Firma Otto Bock kompatibel. Es hat die Form eines Kästchens und lässt sich mit einer Größe von 85 x 65 x 32 Millimetern unauffällig am Rollstuhl befestigen. Die Box umfasst sowohl die Hardware in Form einer Leiterplatine als auch die Software und verfügt über zwei Bluetoothschnittstellen. »Das System ermöglicht nicht nur die Interaktion mit Elektronikgeräten. Vielmehr lässt es sich auch zum Transfer von Rollstuhldaten wie beispielsweise Batteriekapazität, Motorenströme oder Fehler im Antriebssystem an ein Smartphone nutzen«, erläutert Wenzel den Nutzen der zweiten Bluetoothschnittstelle. Eine eigens entwickelte Smartphone-App liest die Daten aus und verarbeitet sie weiter.
»Besitzer von Elektro-Rollstühlen sind oft unsicher, ob und wie weit der Akku reicht, da der Energiebedarf des Fahrzeugs von Außentemperaturen und Höhenprofilen abhängt. Bei starken Steigungen wird mehr Strom verbraucht als auf ebenen Strecken. Aus Unsicherheit verzichten die Betroffenen daher häufig auf Ausflüge oder andere Unternehmungen«, erläutert Wenzel. Die Android-App führt eine präzise Reichweitenprognose durch. Nach Eingabe des aktuellen Aufenthaltsorts und einem Abgleich mit der Batteriekapazität berechnet sie, ob die vorhandene Energie noch ausreicht, um zum Heimatstandort zurückzugelangen. Die erforderlichen Daten ruft sie aus dem Internet ab. Per Handy wird der Rollstuhlfahrer informiert, wie weit er noch fahren kann. Geht die Kapazität zur Neige, erscheint eine Warnung am Display des Smartphones und weist darauf hin, dass nur noch zehn Kilometer zurückgelegt werden können. »Das schafft Sicherheit«, sagt Andreas Biederstädt, Entwicklungsleiter für eMobility & Drive Technology bei Otto Bock. »Das Handy lässt sich problemlos am Rollstuhl montieren, außerdem sind wir so in der Lage, teure Industriedisplays zu ersetzen.«
Ein weiterer Vorteil der App: Mithilfe der Navigationsfunktionen lassen sich barrierefreie Wege anzeigen oder auch behindertengerechte Toiletten. Wer über einen geländegängigen Rollstuhl verfügt, kann sich so auch abseits der Straßen bewegen und geeignete Routen anzeigen lassen. »Besitzer von E-Rollstühlen erhalten durch das Zusatzmodul mehr Autonomie, Sicherheit und Komfort«, resümiert Biederstädt. »Nicht nur Behinderte, auch Senioren mit eingeschränkter Mobilität profitieren von solchen Mobilitätskonzepten mit Bluetoothmodul.«
Erste Tests konnten erfolgreich abgeschlossen werden, mit der neuartigen Kommunika- tionshilfe ausgestattete Rollstuhl-Prototypen wurden bereits präsentiert. Otto Bock plant derzeit, eine Nullserie aufzulegen. Das fertige Produkt soll ab dem dritten Quartal dieses Jahres angeboten werden. Auch die Forscher vom AST wollen ihre Entwicklung voran- treiben. »Im nächsten Schritt binden wir unser Bluetoothmodul an die Hausautomation an. So kann ein behinderter Mensch vom Rollstuhl aus beispielsweise die Klimaanlage steuern, Jalousien öffnen und schließen oder das Licht ausschalten«, sagt Wenzel.